6666778-1960_38_08.jpg
Digital In Arbeit

Es herbstelt im Garten Eden

Werbung
Werbung
Werbung

Unser Mitarbeiter Peter Ri n d l kehrte soeben von einer längeren Studienfahrt durch Westafrika zurück. Seine Eindrücke aus zahlreichen Gesprächen und Fahrten, die ihn durch Mauretanien und Senegal führten, faßt er in den Reportagen „Es herbstelt im Garten Eden“, „Unabhängigkeit auf Sand gebaut“ und „Gespräche auf wasserlosem Boden“ zusammen, die, beginnend mit dem heutigen Bericht, in den nächsten Nummern der „Furche“ erscheinen werden.

„HIER KÖNNTE EIN PARADIES SEIN, aber es herbstelt und der Schneewind kommt aus allen Richtungen.“ — Es hat 52 Grad im Schatten. Das Paradies wird jedenfalls sehr heiß sein. Aber Eugen Diallo meint den politischen Herbstwind, der aus allen Richtungen nach dem Senegal weht; aus Guinea, aus Kairo aus dem Sudan und über den Südatlantik aus dem nur 3000 Kilometer fernen Lateinamerika.

DER SENEGAL IST EINE INSEL der Harmonie zwischen den Rassen und Farben. Das erkannte ich nicht aus Salongesprächen mit Politikern wie Senghor, der Katholik ist, mit Gewerkschaftssekretären wie Diallo, der das Syndicat des Travailleurs Croyants führt, und mit europäischen Idealisten, sondern nach Stunden, die ich auf den Märkten verbrachte, nach Tagen in Fischerdörfern und Abenden in jenen „Restaurants Sehegaleses“. die meistens nichts als Lehmhöhlen sind und Fisch, Kuskus und steinhartes, zähes Beefsteak servieren. Diese Harmonie ist nicht oberflächlich, sie geht bis auf den Grund. Sie umfaßt nicht nur die Beziehung der Europäer zu den Schwarzen, sondern auch das Leben der Schwarzen untereinander, der Wollops, der Peuil und der Seres. Sie kommt aus der Geschichte der Kolonie, die keine Kolonialgeschichte ist, sondern trotz Kriegen und natürlichen - Auseinandersetzungen ein langsames Überziehen des Landes mit französischer Kultur. „Der Senegal ist verlorenes Afrika“, polemisiert bitter der guinesische Politiker Bande, den ich beim Rückflug nach Europa traf. —. „Ein schwarzes Frankreich in Afrika.“ — Verloren für wen? Vielleicht für das Afrika des ..Mikronationalismus“. wie Senegals Präsident Senghor die nationalistische Aktivität der Nachbarn Senegals nannte.

DER ISLAM im Senegal, dem achtzig Prozent der Senegalesen angehören, ist toleranter, verständnisvoller, großzügiger als in den anderen islamitischen Ländern. Mamadou Dia, Ministerpräsident des Senegals, gilt als einer der orthodoxesten Muslim des Landes. Als er vor einigen Jahren von seiner Pilgerfahrt aus Mekka zurückkam, sagte er allerdings: „Ich bin froh, daß unser Islam so weit entfernt ist vom heißen Sand des arabischen Islams.“ - Alles in diesem Land, der Islam, das Selbstbewußtsein, das nationale Gefühl, das ohne Komplexe ist, die Wirtschaft und die Gesellschaft sind Bausteine für einen Garten Eden der Toleranz in Afrika. Aber ...

DIE GRENZSTADT zwischen Mauretanien und dem Senegal ist Rosso. Geteilt vom Fluß Senegal, ist sie im Süden Senegal, im Norden Mauretanien. Rosso ist eine Grenzstadt, wie sie im Buch steht: Diebe, Schmuggler, Prostituierte, Zöllner zu beiden Seiten der Grenze. Die Chauffeure der schweren Fernlaster, die aus dem Senegal über sechshundert Kilometer Piste Material nach der neuen Hauptstadt Mauretaniens, Nakshot, führen, können dort leicht ihr Geld loswerden, in den zwei Stunden, die sie auf die Fähre warten müssen. Wenn das Warten am Abend ist, werden sie auch die lockeren Teile ihrer Ladung los. Über diese Grenzstadt geht alles, was in den Wüstenstädten Mauretaniens, in Nakshot, in Atar, gebraucht wird. Uber diese Grenzstadt wird Rauschgift in beiden Richtungen geschmuggelt. Und über diese Grenzstadt kommt die Propaganda des afrikanischen Rassenhasses, des Europäerhasses, des aggressiven Islams und des Kommunismus nach dem Senegal. Ich hielt mich sehr unfreiwillig in Rosso auf. — Auf dem Fernlaster, mit dem ich aus Dakar gekommen war. war Haschisch gefunden worden, und der Chauffeur war plötzlich im Grenzgefängnis von Mauretanien verschwunden. Irgendwie war es mir gelungen, dem Grenzkommissär, der den Holzknüppel schwang, beizubringen, daß ich an der unter meinem Sitz gefundenen Haschischladung nicht beteiligt war. An diesem Tag in der Grenzstadt Rosso fand ich im mauretanischen wie im senegalesischen Teil all die Gär- und Zersetzungsstoffe der politischen und Rassenpropaganda, die ich im Inneren des Senegals nicht gefunden hatte, ^ie sammelten sich dort, um nach dem Senegal eingeschleust zu werden.

DA WAR DER STUDENT von der Sorbonne, der seine Ferien in seiner Heimatstadt verbrachte. Ibrahim studiert französische Literatur in Paris. Während der Universitätsferien stellte i %J?SP 4?s ^us^rahjipiszentr^^nim}!-nistischer und amjfranzösischer Propaganda dar. Nicht nur. der akademischen Propaganda; er hatte Schriften mit, Flugblätter, Aufrufe, die er vor den Augen der Grenzbehörden besser verbergen konnte als mein Chauffeur seinen Haschisch, und er gab sie paketweise seinen jungen Freunden in den Nomadenstämmen mit, die sie weithin in Zirkulation brachten In diesen Flugblättern war alles, was hart und schwie rig ist im Leben der Nomaden, in der Schuld Frankreichs begründet: Die Unabhängigkeit beider Staaten, des Senegals und Mauretaniens, sind eine Farce — die nationale Revolution muß kommen!

Ich weiß nicht, wie diese Flugblätter der afrikanischen nationalen Revolution aus der Sorbonne bei den Nomadenstämmen aufgenommen werden. Ich weiß aber, daß es immer und überall junge Männer gibt, die diese Sprache gerne hören.

„RUKAFA AL RAAYA“, „FEINDE DER UNTERDRÜCKTEN“, heißt die Geheimgesellschaft, mit deren Führer mich Ibrahim in Rosso bekannt machte. Es ist ein verhältnismäßig junger Geheimbund des aggressiven Islams, der versucht, sich über ganz Afrika„auszubreiten, .u%. 3fe ..SchiappschwSnzigkeit“ und den „Pazifismus“ ittUslaäuder Neger zu bekämpfen. RüÄ'a* al Raaya ist heute noch das einzige Ausstrahlungszentrum der Intoleranz, das ich im senegalesischen Islam kennenlernte. Aber das Zentrum ist aktiv, radikal und von Kairo ferngelenkt. Die Propagandasätze der Rufaka al Raaya könnten vom Mufti von Jerusalem diktiert sein; die offiziellen islamitischen Würdenträger des Islams im Senegal sind Verräter, wie die Regierung Senghor. Frankreich in erster Linie, dann aber auch England, Amerika und Israel sind an allem schuld, was vom Übel in der Welt ist; der Heilige Krieg ist nicht beendet — Afrika steht mitten drin! Alles das, die kommunistische Propaganda aus den Kaffeehäusern von St. Germain des Pres und die aus Kairo und vom radikalen Flügel der FLN kommende aggressive islamitische Ausstrahlung geht von diesem eigenartigen Grenznest Rosso aus, das aus Bretteldörfern mit Prostituierten und Dieben, einer Handvoll gelangweilter und am-bitionierter Grenzbeamten und einem breiten, fluktuierenden Gürtel von Nomadenstämmen besteht.

OSSO IST NUR EINE GRENZSTADT. Der ^3ep0Mm, viele •Grer#n,*F.r liegt mitten in , eineiig Afrika, in dem die Politik jung und neu ist und dessen politische Oberfläche wie die Erdoberfläche, nachdem sie kaum erstarrt war, von Erdbeben und Vulkanenuptionen gezeichnet ist. Der Senegal hat eine große Leistung vollbracht. Als er unabhängig geworden war (noch im Rahmen der Föderation du Mali), vollzog sich eine grundlegende Umschichtung: Die bisher „Hausherren“ gewesen waren, wurden nun eine Minorität; die bisher die Untertanen der Kolonialadministration gewesen waren, sind nun die Hausherren. Diese Umschichtung ging tatsächlich vor sich. Nicht nur symbolisch. Auf den Klubsesseln in den Minister-, Direktions- und Leitungsbüros sitzen Senegalesen. In den Kabinetten der technischen Stäbe sitzen Europäer, Franzosen. Es muß eine gefährliche und schmerzhafte Umschichtung gewesen sein, die von beiden Seiten viel Takt und Großzügigkeit erforderte. Aber ich habe nur wenige Senegalesen getroffen, die die, Herren spielten, und wenige Franzosen, die von Ressentiments erfüllt waren. Die Umschichtung ist gelungen. - Inmitten dev Erdbeben und Vulkanausbrüche in einem Kontinent, auf dem die Politik so jung ist wie die Erdkruste kurz nach ihrem Erstarren.

IM SENEGAL IST JEDER TAG und jedes Gespräch ein Beweis dafür, daß es unzählig mehr „andere“ Afrika gibt als das des Lu-mumba. Eine Sitzung des Parlaments des Senegal, in dem zwei weiße Abgeordnete unter achtzig schwarzen sitzen und ein weißer Minister. Finanzminister Andre Peytavin, unter lauter schwarzen Kollegen, ist ein Schlag ins Gesicht jener europäischen Dummheit, die heute „die Afrikaner“ generalisiert, wenn sie politische Primitivität und den Griff nach dem Zepter einer verflossenen europäischen Herrschaft meint, wie sie früher „die Juden“ generalisierte. Hierher, nach diesem Senegal, müßte man jene aus Europa schicken, die mit dem Finger auf „den afrikanischen Terror“ weisen und vergessen', daß das Ärgste, das hier geschieht, harmloses Kinderspiel ist gegenüber dem. was in Deutschland zwölf Jahre lang vorging.

Und dieser Senegal könnte ein Garten Fden werden. Man müßte ihnen nur Zeit lassen den Afrikanern und den Europäern, die daran arbeiten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung