7133821-1997_38_20.jpg
Digital In Arbeit

Senegal im Umbruch

Werbung
Werbung
Werbung

Ousmane Sembene ist einer der meistgelesenen Autoren des frankophonen Schwarzafrika und gilt als einer der erfolgreichsten afrikanischen Filmemacher. Nun liegen seine Romane „Xala” und „Guel-waar” auch in deutscher Ubersetzung vor - „Guelwaar” entstand zuerst als Film, „Xala” als Roman.

Sembenes literarisches und filmisches Werk wurzelt im Bedürfnis, den in Europa vorgefundenen Bildern von Afrika die eigenen entgegenzustellen. Den Film sieht der gebürtige Senegalese allerdings eher als Mittel, mehr Menschen in Afrika zu erreichen. Einerseits leben dort sehr viele Analphabeten, andererseits erachtet der Autor die Verwendung der Landessprachen Wolof und Diola, die keine Schriftsprachen sind, als unerläßlich für die Entwicklung einer eigenen Kultur. Die Literatur ist für Sembene dennoch die Kunst, „in der man den Menschen in seiner ganzen Tiefe erforschen kann”. Seine Filme stehen daher in engem Verhältnis zu seinen literarischen Werken.

Sembene fst einer der wenigen senegalesischen Autoren, die nicht'nur an einzelnen Politikern Kritik üben, sondern auch an der sozialen und religiösen Elite. „Guelwaar” ist die Geschichte eines Konflikts zwischen dem katholischen Volk der Serer und den muslimischen Wolof. Pierre Henri Thioune, der Guelwaar, was „Krieger edler Abkunft” bedeutet, ist gestorben. Er war das Oberhaupt des gleichnamigen Geschlechts, das bei den Serern eine hohe Stellung einnimmt. Daher kommen viele Menschen, um sich an der Totenfeier, deren Rituale die psychische und soziale Stabilität der Gemeinde aufrechterhalten, zu beteiligen und der Familie ihr Beileid auszusprechen. Durch die Verwechslung von Thiounes Leichnam mit dem eines Muslimen bricht die Ordnung zusammen, und es kommt zur Krise. Es stellt sich heraus, daß Guelwaar auf dem Friedhofeines Wolof-Dorfes begraben ist, dessen Bewohner sich weigern, den Leichnam herauszugeben.

Die beiden Ältestengruppen Guelwaar und Lamane, die Etschei-dungsträger der traditionellen Gesellschaft, verfallen in Passivität. Die Situation wird vor allem durch den Polizeichef Gora, der durch die Kenntnis der Bräuche seines Distrikts und seine Unbestechlichkeit auffällt, und den Imam Birmane, der sich durch seinen Sinn für menschliche Würde auszeichnet, gemeistert.

Zu Beginn werden die Naturelemente in den Raum gestellt - mit Ausnahme von Wasser und Pflanzen, da die Geschichte von einer äußeren und inneren Dürre, einer Krisenzeit, handelt, was der traditionellen afrikanischen Erzählkunst entspricht, deren Elemente immer wieder vorkommen: Sprichwörter, Redundanzen, Geschichten in der Geschichte und vor allem der Erzähler, der immer wieder durch ein kurzes „wir haben” oder „euch erzählen” auf sich aufmerksam macht. Der Autor hat den in Westafrika Griot genannten Erzähler, der früher eine wichtige Rolle spielte, in die Literatur aufgenommen. Der Griot war Geschichtsbewahrer, öffentlicher Unterhalter und Vermittler der traditionellen Gesellschaft der Savanne, in der Austausch die Grundlage jeglicher Beziehung war.

Ousmane Sembene sieht sich selbst als eine Art von modernem Griot: „Er war im klassisch genannten Afrika nicht allein das dynamische Element der Ethnie, des Klans oder des Dorfes, sondern auch der unbestechliche Zeuge eines jeden Ereignisses. Er war es, der die Taten und Gesten aller registrierte und unter dem Palaverbaum öffentlich bekanntmachte. Das Konzept meiner Arbeit stammt von diesem Vorbild: so nah wie möglich bei der Bealität und dem Volk bleiben.”

Dieses erfährt, im Vergleich zu früheren Büchern des Autors, eine entscheidende Wende. Der senegalesische Islam galt lange, aufgrund der Vermischung mit der afrikanischen Tradition, als tolerant und liberal, doch die Einflüsse aus dem arabischen Raum machen sich heute auch hier bemerkbar, und so sind in „Guelwaar” vor allem die Muslime alles andere als Hoffnungsträger. Daß dieser Roman das erste Werk Sembenes ist, das auf einen innerafrikanischen

Konflikt hinweist, der jederzeit zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen kann, macht eine neue Entwicklung in Senegal und in ganz Afrika spürbar. 1989 kam es beispielsweise zu einem Streit mit Mauretanien, der viele Senegalesen im nördlichen Nachbarland und viele Mauretanier in Senegal das Leben kostete. Heute gehen politische Veränderungen und die Dynamisierung der Konflikte vor allem von den Jugendlichen in den Vorstädten aus. Sie sind es, die zum Schluß der Geschichte die Initiative ergreifen, indem sie den Lastwagen mit den Hilfsgütern attackieren und so Guelwaars Vision verwirklichen, dessen Tod auf seinen Protest gegen Nahrungsmittelhilfe und Korruption zurückzuführen ist. Der Autor setzt den Schwerpunkt hier auf die Frage der Würde.

Der 1923 geborene Sembene nahm als „tirailleur” in der französischen Armee am Zweiten Weltkrieg teil, wo er Kolonialismus und Rassismus kennenlernte. Bereits vier Jahre nach Kriegsende kehrte er als blinder Passagier nach Frankreich zurück; von 1950 bis 1960 war er Mitglied der kommunistischen Partei. Er gehört nicht zu denen, die die europäische Afrikapolitik für alle Übel verantwortlich machen. Vielmehr setzt er die Kenntnis ihrer zerstörerischen Auswirkungen voraus und konzentriert sich auf die Kritik der Mißstände, die der afrikanischen Oberschicht anzulasten sind.

„Xala” beschreibt die senegalesische Gesellschaft während des Überganges vom Kolonialismus zur Unabhängigkeit. El Hadji Abdou Kader Beye gehört zu einer bourgeoisen Schicht, deren Gewinne nicht aus dem industriell-produktiven Sektor stammen (die sie dort auch nicht reinvestiert), sondern vom Verkauf anderswo produzierter Waren. Kapital beschafft sie sich durch Kredite oder zweifelhafte Geschäfte, Korruption und Betrügereien. Die kulturellen Aspekte dieser komplexen Übergangsgesellschaft stehen im Vordergrund der Satire. El Hadji ist „das Produkt zweier Kulturen, europäisch-bürgerliche Ausbildung, afrikanischfeudale Erziehung”; er bedient sich zu seinem Vorteil je nach Bedarf der einen oder anderen Kultur.

Sembenes Film „Le mandat” („Die Überweisung”), der ebenfalls in Wien zu sehen war, beschäftigt sich mit der ländlichen Polygamie - alle Frauen lebten in einem Haus, und es ging vor allem um die Vervielfältigung der Arbeitskräfte zur Bestellung der Felder und die Erweiterung des sozialen Zusammenhangs. In „Xala” steht die urbane Polygamie im Vordergrund. El Hadji heiratet seine Frauen aus Prestigegründen. Jede lebt mit ihren Kindern in einem eigenen Haus, das Konkurrenzverhältnis führt zu immer größeren finanziellen Ansprüchen und zur Reduktion der Beziehung auf Sex und Geld.

Der „Xala” (ein Wolof-Wort für Impotenz), ein Fluch, den ihm jemand angehängt hat, ist Teil der afrikanisch-feudalen Welt. Er tritt ausgerechnet in er Hochzeitsnacht, die El Hadji mit seiner dritten Frau, der 18jährigen N'Gone, verbringt, in Kraft. Er versucht ihn mit Hilfe aller erreichbaren Ärzte und Heiler loszuwerden. Da er sich nicht mehr um seine Geschäfte kümmert, kann er seinen kostspieligen Lebensstandard nicht halten und ist bald am Ende. Er verliert seinen Kredit, wird aus der

Handelskammer ausgeschlossen und nur seine erste Frau, die er noch vor seiner erfolgreichen Zeit geheiratet hat, bleibt bei ihm.

Zum Schluß dringt eine vom Urheber des Fluchs geführte Prozession von Bettlern und Aussätzigen, die der postkolonialen Oberschicht ein Dorn im Auge sind, in El Hadjis Haus ein, zwingt ihn, seine Kleider auszuziehen, schließlich wird er von allen bespuckt. Hierbei handelt es sich aber um eine gesellschaftliche und kulturelle Heilung. Einerseits wird mit dem Auftreten der Aussätzigen ein soziales Unrecht gutgemacht. Der Urheber des „Xala” ist ein Bettler, der den Protagonisten immer wieder durch seinen Gesang störte und den er verhaften lassen wollte, obwohl seine Geschäfte bereits dessen Existenz zerstört hatten. Andererseits steht der Auftritt der Entrechteten für eine Wiederkehr der lebendigen Kräfte Afrikas und El Hadjis Nacktheit für eine Rückbesinnung auf seine Wurzeln.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung