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Der Tod eines Pazifisten

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Er vernachlässigte seinen Beruf und seine Familie, denn ihm war es sehr ernst mit seinem Protest gegen die Stationierung amerikanischer Raketen und Flugkörper.

Er diskutierte auch immer wieder leidenschaftlich die Nuklear-Probleme; und allmählich sah er ein, daß er zwar weiterhin gegen die Stationierung amerikanischer Waffen zu protestieren hatte, daß er in seine Proteste aber auch die entsprechenden sowjetischen Waffen einzubeziehen hatte. Da er das bisher Unterlassene aufholen mußte, war er nun mehr als doppelt ausgelastet, sein Beruf und seine Familie hatten das Nachsehen.

Je intensiver er sich in die einschlägigen Fragen vertiefte, um so stärker belastete ihn die Kompliziertheit der Materie. Er mußte lernen, die Mittelstreckenwaffen von den Langstreckenwaffen zu unterscheiden, die landgestützten von den maritimen Waffen, die amerikanischen von den europäischen Waffen.

In den Kreisen der Pazifisten gab es zunächst zwei Hauptrichtungen: jene, die nur gegen die US-Waffen und jene, die auch gegen die sowjetischen Waffen protestierten. Unter diesen wiederum wollten manche sich auf die Mittelstrecken spezialisieren, andere befürworteten pauschale Proteste gegen alle Nuklearwaffen.

Die verschiedenen Richtungen innerhalb des Pazifismus einigten sich schließlich darauf, daß sie bei ihren Aktionen nicht gegeneinander polemisieren wollten und nicht ihre jeweils wohlerwogenen Argumente, sondern nur die AntiAtom-Argumente zum Gegenstand ihrer Öffentlichkeitsarbeit machen wollten.

Unser Nuklear-Gegner protestierte sich fast zu Tode und hatte damit Erfolg. Da es so viele seinesgleichen gab, lockerte sich das internationale Klima allmählich auf. Ein intelligenter Formulierer hatte die Formel „Zurück zum Tag vor Hiroshima" erfunden, und dieser Slogan hatte sich weltweit durchgesetzt.

Als unser Nuklear-Gegner sich zu einem Anti-Nuklear-Kon-greß nach Split begeben hatte, nahmen die Spannungen zwischen Albanien und Jugoslawien jäh zu, und es begann alsbald der albanisch-jugoslawische Krieg, den auf die Adria-Region zu lokalisieren, die Mächte sich so sehr bemühten.

Am ersten Tag dieses Kriegs fand der Angriff albanischer Flugzeuge auf die dalmatinische Küste statt. Eine Fliegerbombe traf unseren Pazifisten und verletzte ihn schwer.

Auf dem Transport in das Krankenhaus erlangte er ein letztes Mal das Bewußtsein und fragte: „Eine Atombombe?" - „Nein", antwortete der Arzt, „eine Bombe, wie man sie im Zweiten Weltkrieg auf Dresden und Coventry abgeworfen hat."

„Gott sei Dank", sagte der Pazifist und starb.'

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