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Entspannte Affen

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Ciba-Geigy zeigte österreichischen Journalisten den kleinen freundlichen Zipfel eines weiten Landes namens „Tierversuch in der pharmazeutischen Forschung“. Dieses heikle Thema ist demnächst in der Schweiz Gegenstand einer Volksabstimmung.

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Ciba-Geigy zeigte österreichischen Journalisten den kleinen freundlichen Zipfel eines weiten Landes namens „Tierversuch in der pharmazeutischen Forschung“. Dieses heikle Thema ist demnächst in der Schweiz Gegenstand einer Volksabstimmung.

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Am ersten Dezember können die Schweizer für ein Gesetz stimmen, das sämtlichen Tierversuchen ein Ende setzt. Die Initiative wird kaum Erfolg haben, zu gut können sich die Schweizer ausrechnen, was nachher käme.

Ciba-Geigy zum Beispiel, einer von drei pharmazeutischen Konzernen, die in Basel ihren Sitz haben, nimmt die Attacken der Tierschützer wichtig genug, um im jüngsten Jahresbericht ausführlieh auf dieses Thema zu kommen. Würde die Schweiz alle Tierversuche verbieten, wären selbst die gesetzlich vorgeschriebenen toxikologischen Prüfungen von Heilmitteln und chemischen Substanzen nicht mehr möglich. Wichtige Komplexe der chemisch-pharmazeutischen Forschung würden dann ins Ausland verlegt, der Raum Basel um 2.000 hochqualifizierte Arbeitsplätze ärmer.

Die Pharma-Industrie ist extrem forschungsintensiv. Acht Prozent der Umsätze wendet der Pharma- und Chemie-Multi Ciba-Geigy für Forschung und Entwicklung auf, 1984 insgesamt 1.456 Millionen Schweizerfranken, allein im Pharma-Bereich rund 500 Millionen (über vier Milliarden Schilling). Jedes Medikament kostet in den rund zehn Jahren bis zur Markteinführung durchschnittlich 200 Millionen Franken, über 1,5 Milliarden Schilling.

Der Pharma-Industrie weht der Wind ins Gesicht, nicht nur wegen der Tierversuche. In Ländern wie Österreich tragen ja die Arbeitnehmer mit ihren Beiträgen—und die Steuerzahler, die den Abgang decken — wacker zur Finanzierung des Pharma-Fortschritts und der Pharma-Gewinne bei. Neue Errungenschaften bedeuten neue Kosten.

Aktuelles Beispiel: Die von Ciba-Geigy entwickelte Darbietung des für Angina-Pectoris-Kranke wichtigen Nitroglycerins „TTS“ (= through the skin, durch die Haut). Die Entwicklung des intelligenten Pflasters war teuer, es ist daher nicht billig, das Urteil der Kardiologen ist nicht einhellig, der Gewinn an Lebensqualität für die Kranken laut Hersteller hoch, die Meinungsbildung der österreichischen Kassen noch nicht abgeschlossen.

Der Konzern nimmt nun offensichtlich eine aktivere Informationspolitik in Angriff. Daß er dabei seine Schokoladeseite herzeigt, ist legitim. 650.000 Tiere, zum Großteil Ratten und Mäuse, aber auch Hamster, Meerschweinchen, Hunde, Katzen, Kaninchen etc., werden jährlich benötigt. Nur ein Teil leidet, ein Tierschutzbeauftragter achtet darauf, daß sie nicht unnötig leiden — diese Leiden zu leugnen, wäre aber unehrlich. Doch eine Pharma-Industrie ohne Tierversuche ist unmöglich.

Die österreichischen Besucher lernten die „Creme de la Creme“ der Versuchstiere kennen: 45 Rhesusaffen in der Primatenstation, mit der Ciba-Geigy Neuland beschritt. In der von Joachim Jaekel aufgebauten Station werden die Tiere etwa so alt wie in der freien Wildbahn. Sie werden in Einzelkäfigen gehalten, verbringen aber täglich mehrere Stunden unter Beobachtung in nur aus Männchen gebildeten Gruppen mit fester Zusammensetzung.

Ein Arbeitsgebiet ist die Erkennung von Nebenwirkungen neuer Psychopharmaka. Am spektakulärsten ist freilich die Verhaltensforschung im Hinblick auf Psychopharmaka.

Frei oder gefangen: Rhesusaffen entwickeln schnell straffe, haltbare Hierarchien. Nicht nur Körperkraft, auch ein angeborenes Talent zur „Selbstdarstellung“ (Jaekel), etwa durch Mimik, kann zum Big Boß, der die Futterschüssel beherrscht, qualifizieren. Letzter und Vorletzter einer Gruppe haben in Anwesen-. heit der anderen keine Chance auf

Zutritt zum Futter. Obwohl sie trübsinnig im Eck hocken, wollen sie aber bei den anderen sein.

Psychopharmaka können nun die Rangniederen motivieren, eine Verbesserung ihrer Situation anzustreben. Es gelingt nur, wenn zugleich die Bosse gedämpft werden. Ohne medikamentöse Stimulierung lassen die Niederen freilich ihre Chance (gedämpfte Bosse) ungenützt. Psychopharmaka können die ganze Gruppe so lokkern, daß innerhalb der Rangordnung auch die Niederen in den Genuß eines Kommunikationsklimas kommen, das sich in lebhaftem Einander-das-Fell-Reini-gen äußert. Keine Substanz bewirkt den Umsturz der gegebenen Rangordnung.

Auch Lernmotivation und Lernfähigkeit können stimuliert werden. Lern-Star Carlo zeigte den Österreichern, daß er mit affenartigem Tempo sein Futter unter verschiedenfarbigen Stöpseln zu finden weiß. Gleich nachher konnte er plötzlich gar nix - das wichtigste Stimulans war ausgefallen. Carlo war satt.

Lernlustigere, tolerantere, harmonischer zusammenlebende Affen als Produkt der „Soziophar-makologie“: Ein Hauch von Hux-leys „Brave new World“ liegt über den Käfigen...

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