6807850-1972_17_14.jpg
Digital In Arbeit

Frühgeschichte der Gestapo

Werbung
Werbung
Werbung

Die Frage nach der Entstehung der Organisation der Gestapo und des Sicherheitsdienstes, darüber hinaus der gesamten staatspolizeilichen Mechanik des Dritten Reiches hat schon oft die Historiker beschäftigt. Dabei standen neben Heinrich Himmler selbstverständlich Reinhard Heydrich und sein Mitarbeiterkreis im Mittelpunkt des Interesses, wobei allerdings Heydrich gerne als der „Dämon“ des SS-Bereiches dargestellt wurde, — nicht zuletzt wegen seiner angeblichen jüdischen Abstammung.

Der Verfasser, welcher an der Universität Jerusalem neuere deutsche Geschichte studierte, hat sich mit größter Objektivität, aber gleichzeitig auch unter Heranziehung der entscheidenden Personalakten sowie zahlreicher Interviews maßgeblicher Persönlichkeiten, die an der Wiege des SD und der Gestapo standen, der Aufgabe unterzogen, die sehr komplizierten Zusammenhänge der Entstehung der nachrichtendienstlichen und staatspolizeilichen Organisation des Dritten Reiches zu klären. Hiebei wird zunächst einmal eine Legende abgetan; Heydrichs angebliche jüdische Abstammung läßt sich nicht beweisen. Um seine Familie ranken sich wegen der Verwandtschaft mit einer Familie Süß Legenden, die in der antisemitischen Stimmung in Halle immer wieder kolportiert wurden. Heydrichs Austritt aus der Reichskriegsmarine nach einem mittelmäßigen Start erfolgte durch ein Ehrengericht, wohl unter überspitzter Anwendung von Prinzipien, die nicht mehr, ganz in die Zeit paßten. Der entwurzelte Offizier fand in Heinrich Himmler seinen Mentor und Schutzherren — was er übrigens nie vergaß, um so mehr als ihn Himmler immer wieder in der Abstammungsangelegenheit verteidigen mußte.

Der Aufbau eines Nachrichtendienstes durch den Dilettanten Heydrich gegen ähnliche Parallelerscheinungen in der SA und SS vor der Machtübernahme war nur eine Episode, die ohne Himmlers Aufstieg über die bayerische politische Polizei zum politischen Polizeikommandeur aller deutschen Länder nicht denkbar gewesen wäre. Himmler und Heydrich, beide unerfahren in nachrichtendienstlichen Belangen, konnten ohne die so wichtige „bayrische Gruppe“ in den Anfängen ihrer Tätigkeit nicht auskommen; dazu gehörten ausschließlich konservative, ehemals bayerischkatholisch gebundene Beamte wie Heinrich Müller, der spätere Chef der Gestapo, Franz Josef Huber — bekannt als Gestapo-Referent gegen Österreich — und eine Reihe anderer „Uberläufer“, die auf Grund ihrer Fachkenntnisse den Aufbau der Gestapo und ihrer Nebenorganisationen erst ermöglichten und gegen den wütenden Protest der Parteidienststellen von Himmler und Heydrich gehalten wurden.

In dem vorliegenden Werk wird auch die meisterhafte Strategie Himmlers zur Eroberung der politischen Polizeipositionen, vor allem in Preußen, ausgezeichnet geschildert. Die Charakteristik der verschiedenen Mitarbeiter in SD und Gestapo zeigt, daß von der konservativen Bürokratie bis zu antidemokratisch gesinnten Offizieren, gescheiterten Intellektuellen und einem sich allmählich bildenden „Brain-Trust'“ junger Karrieristen nach dem Muster Schellenbergs die verschiedensten Elemente zusammen kamen. Daraus entstand die komplizierte Apparatur des Sicherheitsdienstes und der Gestapo, welche erst allmählich nach den Ereignissen des 30. Juni 1934 ihre Position gegenüber der Bürokratie der Länderverwaltung, der Justiz und der Polizei durchsetzen konnte

— nicht ohne manchen Rückschlag einstecken zu müssen.

Der Verfasser hat auch durch eine sehr gute Analyse der einzelnen maßgebenden Funktionäre seine These untermauert, daß es sich bei diesem Prozeß der Herausbildung einer staatspolizeilichen Nachrichtenorganisation, deren Fäden einerseits in der Staatspartei und anderseits in der Beamtenorganisation mündeten, um einen äußerst komplexen Vorgang handelte, der durch eine Reihe von Persönlichkeiten vorangetrieben wurde, unter denen Heydrich ein, wenn auch nicht unwichtiger, Faktor war.

REINHARD HEYDRICH UND DIE FRÜHGESCHICHTE VON GESTAPO UND SD. Von Shlomo Aronson. Studien zur Zeitgeschichte. Herausgegeben vom Institut für Zeitgeschichte. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1971. 340 Seiten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung