7113175-1996_05_17.jpg
Digital In Arbeit

SS: Soldaten oder Mörder?

19451960198020002020

Jörg Haiders Auftritt vor ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS hat die Frage nach Entwicklung und Standort der SS wieder aktuell werden lassen.

19451960198020002020

Jörg Haiders Auftritt vor ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS hat die Frage nach Entwicklung und Standort der SS wieder aktuell werden lassen.

Werbung
Werbung
Werbung

War die Waffen-SS eine verbrecherische Organisation oder eine Eliteeinheit innerhalb der Kriegsmaschine des Dritten Reichs? Waren ihre Angehörigen Mörder oder Soldaten wie jene der Wehrmacht, nur vielleicht etwas härtere? Die Antwort wird verschieden ausfallen - je nachdem, in welchen Bereich des „Ordens unter dem Totenkopf" (Heinz Höhne) der jeweils Befragte einbezogen war.

Auch die Männer, die für Aufbau und Ausrichtung der SS verantwortlich waren, hatten darüber sehr verschiedene Ansichten, woraus wieder verschiedene Aspekte der Entwicklung resultierten.

Am Beginn der NS-Bewegung sorgte eine Schlägertruppe, die sich „Sturmabteilung" (SA) nannte, für den Saalschutz bei Versammlungen. Dann legte sich Adolf Hitler eine Leibwache zu, aus der die „Schutzstaffel" (SS) entstand. Aus der SA wollte Ernst Röhm eine militärisch organisierte Miliz bilden. Aus der SS wurde unter Führung von Heinrich Himmler eine ideologisch streng ausgerichtete Parteielite, die für die weltanschauliche Ausrichtung ganz Deutschlands sorgten und mit der Polizei die Machtmittel besitzen sollte, jeden Widerstand im Inneren zu ersticken.

Unter dem ideologischen Phantasten Himmler baute Reinhard Hey-drich mit Geheimer Staatspolizei (Gestapo) und Sicherheitsdienst (SD) ein Netz von innerer Spionage und Gegenspionage auf, das ganz Deutschland überzog. „Staatsfeinde" wurden in Konzentrationslagern (KZ) in „Schutzhaft" genommen, um „umerzogen" zu werden. Hier hatte Theodor Eicke die Oberaufsicht, der als Inspektor der KZ die Wachmannschaften in den „Totenkopf"-Verbänden bewußt auf Grausamkeit und Sadismus gegenüber den Insassen drillte.

Die KZ-Wachen waren aus den „Stabswachen" und „Politischen Bereitschaften" entstanden, in denen nach der Machtübernahme Hitlers 1933 Mitglieder der Allgemeinen (unbewaffneten) SS organisiert wurden, um Hilfspolizei-Dienste zu leisten. Aus diesen Bereitschaften entwickelte sich aber auch die „SS-Verfügungs-trupppe" (VT), die Vorstufe der Waffen-SS.

Auchw hier gab es verschiedene Tendenzen: Paul Hausser, ehemaliger Reichswehrgeneral, sah eine Truppe vor sich, die streng nach den militärischen Kriterien der Reichswehr organisiert und ausgebildet werden sollte. Felix Steiner, einst Stoßtruppführer, träumte von ganz neuen Methoden der Kriegstaktik, von modernen Formen des Soldatentums - 60 Prozent seiner Führer (Offiziere) hatten keine Matura.

Einig waren sie sich darin, sich und ihre Männer nur als Soldaten zu sehen, die ideologischen Auflagen des „Reichs-Heini" (Himmler) gering zu achten und die Gemeinsamkeit mit den Totenkopf-V^rbänden abzulehnen. Trotzdem wehrten sie sich nicht dagegen, als Himmler als Reichsführer SS 1941 neben den militärischen Einheiten auch die Wach- und Verwaltungsstäbe der KZ und die Toten-kopf-Wachsturmbanne unter den Oberbegriff „Waffen-SS" einordnete.

In diesen Jahren war die Verfügungstruppe - sehr gegen die Vorstellungen der Wehrmachts-Generäle - zur kämpfenden Truppe geworden. Die erste dieser Einheiten war die „SS-Stabswache Berlin", die spätere „Leibstandarte Adolf Hitler" (LAH) unter dem bayrischen Haudegen Sepp Dietrich. Sie führte im Juni 1934 - „Röhm-Putsch" - die Ermordung der SA-Führer durch - Eicke selbst erschoß den obersten SA-Führer Röhm.

Aber die Wehrmacht bremste. So gab es 1938 erst drei Regimenter der Verfügungstruppe, in Wien kam ein viertes dazu, ohne schwere Waffen. Die VT war laut „Führer-Refehl" weder Teil der Wehrmacht, noch der Polizei, sondern stand Hitler allein zur ausschließlichen Verfügung, ideologisch geschult, was auch den Austritt aus der Kirche einschloß.

Der Kriegsausbruch beschleunigte die Entwicklung. Im Polenfeldzug wurden die SS-Regimenter, nun schon durch Artillerie verstärkt, den Angriffskeilen der Wehrmacht zugeteilt - und erlitten schwerste Verluste, weil sie nicht für den Krieg im Divisionsverband ausgebildet waren.

Die Wehrmacht behinderte die Ergänzung weiter - und so holte sich der dafür zuständige SS-General Gottlob Berger seine Leute woanders. Aus den kriegsverwendungsfähigen Mannschaften der KZ-Wachen und der Polizei entstanden die „Totenkopf'-und die Polizei-Division der Waffen-SS.

Dann streckte er seine Fühler nach den Volksdeutschen im europäischen Südosten aus und rekrutierte neue SS-Divisionen aus Freiwilligen in Rumänien und Jugoslawien, meist unter aktiver Mithilfe ihrer Volksgruppenführer, wobei mitunter der „Freiwilligkeit" etwas nachgeholfen wurde: die SS-Division „Prinz Eugen".

Durch die deutschen Blitzsiege im Norden und Westen fühlten sich dort zahlreiche junge Menschen beeindruckt, die glaubten, für ein „germa- t nisches Europa" gegen den Bolschewismus kämpfen zu müssen. 125.000 Westeuropäer strömten zur Waffen-SS - Holländer, Flamen, Wallonen, Franzosen, Dänen, Norweger, aber auch 800 Schweizer und 85 Liechtensteiner. Abenteurer und Landsknechtstypen ebenso wie Idealisten und Angehörige der nationalistischen Parteien der besetzten Länder: die SS-Divisionen „Wiking" und „Charle-magne".

Nach Beginn des Ostfeldzugs weiteten sich die Rekrutierungsbemühungen Bergers auf die Nationalitäten der besetzten Ostgebiete aus: Letten, Esten, Ukrainer, aber auch Kaukasier und Turkmenen wollten den Kampf gegen den Bolschewismus unterstützen, um damit die Unabhängigkeit ihrer Heimatländer zu erreichen (oder auch nur den unmenschlichen Bedingungen der deutschen Gefangenenlager zu entgehen). Gegen Kriegsende gab es auch Einheiten der Albaner, Bosniaken und Inder in der Waffen-SS.

Die SS-Divisionen wurden in Frankreich, auf dem Balkan, vor allem im Osten immer wieder in den Stoßkeilen der Angriffsarmeen eingesetzt, während gleichzeitig ihre „Kameraden" aus Einsatzgruppen und Totenkopf-Standarten - direkt dem Reisführer SS Himmler unterstellt -das Hinterland von Partisanen und Juden „säubern" sollten (woran manche einheimische Freiwilligeneinheit der Ukrainer oder Letten intensiv beteiligt war).

Wehrmachtsgeneräle, die so länge den Ausbau der Waffen-SS gebremst hatten, lobten nun die Kampfkraft der Männer mit dem „Vogel" am Arm in höchsten Tönen. Selbst SS-General Eicke, nun Kommandeur der „Totenkopf"-Division, erhielt vom Oberkommandierenden des Mittelabschnitts im Osten, Generalfeldmarschall Ernst Busch, großes Lob für das Halten und später den Ausbruch aus dem Kessel von Demjansk.

Die auf beiden Seiten der Front praktizierte Brutalität steigerte sich von Jahr zu Jahr. An Übergriffen einzelner Soldaten gegen Zivilisten waren SS-Angehörige sechsmal so oft beteiligt wie Wehrmachtssoldaten. „Vergeltungsmaßnahmen" von Verbänden erhielten Symbolcharakter: Oradour (Frankreich), Distomon (Griechenland).

Mit 18.000 Mann war die Waffen-SS in Polen einmarschiert. 1940 zählte sie bereits 100.000. Gegen Kriegsende standen 38 SS-Divisionen auf dem Papier, mit 600.000 Mann - aber mehr als 300.000 waren bereits während des Kriegs ausgefallen.

1946 bestimmte der Internationale Militärgerichtshof in Nürnberg: „Die SS wurde zu Zwecken verwandt, die nach dem Status verbrecherisch waren. Sie bestanden in der Verfolgung und Ausrottung der Juden, Brutalitäten und Tötungen in den Konzentrationslagern ... Ermordung von Kriegsgefangenen ..." Der Gerichtshof schloß alle Personen ein, „die in die SS aufgenommen worden waren ": die Mitglieder der Allgemeinen SS, der Waffen-SS, der Totenkopfver-bände und der der SS eingegliederten Polizeiverbände. Ob die überlebenden Angehörigen der Kampfeinheiten diesen Spruch für sich zur Kenntnis nehmen, ist allerdings - siehe den eingangs erwähnten Auftritt Jörg Haiders - eine andere Frage.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung