6639067-1957_33_07.jpg
Digital In Arbeit

Falsch gezeichnete Tragödie

Werbung
Werbung
Werbung

Die Bedeutung der SS für die Geschichte des Dritten Reiches wird von den Historikern immer mehr erkannt. Beim vorjährigen Deutschen Historikertag in Ulm hielt der Mitarbeiter des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, Dr. Hans Buchheim, ein vielbeachtetes Referat über die rechtliche Ausnahmestellung der SS, und im Institut für wissenschaftliche Politik in Marburg erschien unter Anleitung von Prof. W. Abėndroth die sehr exakte Soziologische Studie Von Dr. Neusüß-Hunkel zum selben Thema. Dazu kommen noch viele kleinere Untersuchungen, Studien und Veröffentlichungen in zahlreichen Zeitschriften. Der britische Historiker G. Reitlinger versucht nun, die SS als „Tragödie einer deutschen Epoche” in einer ersten Gesamtgeschichte zu zeichnen. Der Versuch ad sich ist lobenswert, da bisher nur Detailprobleme gestreift wurden und die SS ja eine vielschichtige Stellung im Staatsapparat des Dritten Reiches einnahm. El darf nicht vergessen werden, welch eminente Bedeutung zeitweise die von einer Persönlichkeit wie Heydrich ausgehenden ideologischen Impulse hatten und aus welchen geistesgeschichtlich oft sehr trüben Quellen Himmlers Romantik eines neuen Adels kam, während daneben reine Polizei- und Machttechniker, wie der berüchtigte Gestapo-Müller, die SS zu einem Abklatsch des russischen NKWD auszubauen versuchten. Neben den Konzentrationslagern und Vernichtungsstätten stand wieder, aus einer ganz anderen Wurzel gekommen, die Waffen-SS, deren Funktion als „ideologische Gegenarmee” unter Hinblick auf die Wehrmacht immer mehr von der Forschung erkannt wird. Dazu kommt noch der groteske Versuch Himmlers, in seinem Sicherheitsdienst eine Art deutschen Super-Secret-Service zu schaffen, und am Ende seiner Laufbahn wird der einstige Diplomlandwirt sogar noch zur zentralen Figur hilfloser Friedensgespräche. All das hat Reitlinger, der schon die Geschichte der „Endlösung” der Judenfrage darzustellen versuchte, eingefangen und auf Grund der bekannten Akten und mit Hilfe leider nur eines Teiles der kritisch wertenden Literatur sein Werk aufgebaut. Es besitzt manche Vorzüge, aber auch sehr schwere Mängel. Als solche seien nur angeführt: die Kurzbiographien der handelnden Persönlichkeiten hätten bei einigermaßen genauerer Uebersetzung und Ueberarbeitung nicht so schwere Fehler aufweisen müssen. Kaum ein Dienstgrad oder eine Dienststellungsbezeichnung ist richtig. Auch in der Darstellung selbst sind oft bei wichtigen Ereignissen Lücken: über den 20. Juli und die SS ist nicht zu schreiben ohne quellenmäßige Verwendung der von Prof. Ritter eingesehenen Geheimberichte des SD, wie überhaupt die in den USA liegenden SS-Akten hätten verwendet werden müssen. Bei den Friedensversuchen des Oberstgruppenführers Wolff sei auf die sehr genaue Darstellung bei F. v. Cleß und Moellhausen hingewiesen. Solche Mängel mag der Verlag auch bei dem sonst nicht erklärbaren Nachwort empfunden haben und es ist damit der zeitgeschichtlichen Forschung nicht gedient. Es wäre wesentlich besser gewesen, die deutschen Autoren nicht aufzufordern, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, sondern jene deutschen und ausländischen Arbeiten, die sich längst mit dieser Materie beschäftigt haben, richtig heranzuziehen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung