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Träume unter dem SS-Helm

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Die Affäre Altmann-Barbie — des, Gestapo-Henkers von Lyon —, der gegen gute Francs seine Memoiren in der auflagestarken Boulevardzeitung „France-Soir" veröffentlicht, hat die Rolle der Resistance neuerlich zur Diskussion gestellt. Über die französische Widerstandsbewegung existiert eine vielzählige, aber meist unkritische Literatur. Eine vom Staat geförderte Geschichtsschreibung trug seit 1944/45 das ihre dazu bei, um die Jahre des Regimes von Vichy zu verfälschen. Eine kleine Bande gekaufter Subjekte hätte sich demnach des Prestiges eines Marschalls und Siegers van Verdun bedient, um das Land auszubeuten und den Wünschen des Dritten Reiches nachzukommen. Die Masse der Bevölkerung, von patriotisch beseelten Helden angeführt und vom Geiste General de Gaulies inspiriert, habe auf der anderen Seite energisch gegen die Besatzung gekämpft und damit den Sieg der Nation am Ende des zweiten Weltkriegs besiegelt. Natürlich gibt es auch Verteidigungsschriften zugunsten Petains und der Kollaboration. Der einstige Rechtsanwalt des Marschalls, Maitre Isorni, verfaßt dicke Hagiographien über seinen Klienten.

Die Abrechnung mit den geschlagenen inneren Gegnern wird hinter einem sorgfältig gewebten Schleier des Schweigens und Vergessens verborgen. Nur der große jüdische Zeithistoriker Robert Aron schildert mit bewundernswerter Akribie die Geschichte Frankreichs kurz vor und nach der Befreiung. Es mangelte jedoch an persönlichen, ohne Leidenschaft verfaßten Zeugnissen jener Männer, die aus falsch verstandener Vaterlandsliebe, oder im Dienste einer Ideologie, den Gegner der III. Republik unterstützten. Die bisher gültige Schwarzweißmalerei — Resistance = Heldenmut, Kollaboration = gemeiner Verrat — wurde erstmalig durch einen vierstündigen Dokumentarfilm „Le Chagrin et La Pitie" durchbrochen. In diesem, vom Sohn des berühmten Regisseurs Ophüls 1970 gedrehten Streifen über das Leben der Stadt Clermont-Fer-rand während des Kriegs werden die Maßstäbe historisch richtig gesetzt.

Obwohl verschiedene ausländische Fernsehstationen 'dieses Meisterwerk ausstrahlten, weigerte sich die ORTF, ihr Publikum mit diesem Thema vertraut zu machen. Dafür füllten sich die Kinosäle mit Hunderttausenden, die das Spiegelbild der eigenen jüngsten Geschichte betrachten konnten. Besonders eindrucksvoll waren die Aussagen eines Aristokraten in diesem Füm, der einst als Offizier in der Waffen-SS freiwillig diente. Christian de la Maziere, einer der wenigen Überlebenden der Waffen-SS-Division „Char-lemagne", legte in diesen Tagen in seinem Buch „Der Träumer unter dem Stahlhelm" die Memoiren eines französischen SS-Angehörigen vor („Le reveur casque", Verlag Robert Laffont). Immerhin dienten 7000 Franzosen in der Waffen-SS. Die Überreste ihrer Division kämpften eine letzte verzweifelte Schiacht in den Trümmern der Reichshauptstadt.

Die Ausführungen de la Mazieres verdienen, so schnell wie möglich in deutscher Sprache ediert zu werden. Das Buch liest sich nicht nur wie ein Abenteurerroman. Es ist hinreißend geschrieben und setzt sich mit dem Phänomen aller jener jungen europäischen Männer auseinander, die — seien es Schweden, Schweizer, Holländer oder Franzosen — in den Regimentern Heinrich Himmlers für eine angebliche Befreiung Europas von der kommunistischen Gefahr ihr Leben einsetzten.

Lächerliche Mystik

Der Verfasser, Sohn eines hohen Offiziers, im Geiste des französischen

Nationalismus aufgewachsen, wurde durch den spanischen Bürgerkrieg auf den Zusammenstoß zweier Ideologien aufmerksam. Wie alle Mitglieder seines Kreises streng antikommunistisch erzogen und eingestellt, glaubte Christian de la Maziere im Nationalsozialismus die revolutionäre Form des Nationalismus zu finden, die einen echten Sozialismus zeugt. Diese Art des nationalen Sozialismus wurde mit Kreuzzugsideen angereichert, die in einem integralen Katholizismus ihren Nährboden hatten. Dieselben Gedankengänge finden wir wohl zum letztenmal bei den Obersten der OAS-Geheimarmee in Algerien.

Die französischen Mitglieder der Waffen-SS rekrutierten sich im allgemeinen aus Söhnen der Aristokratie und der Arbeiterschaft, letztere also klassenbewußte, von der kommunistischen Partei enttäuschte

Proletarierabkömmlinge. Der Verfasser arbeitete bis Mitte 1944 als Journalist bei einem kollafooratisti-schen Blättchen. Er sollte — was bisher vollkommen unbekannt war — im Auftrag der gelandeten Anglo-Amerikaner August 1944 beim Aufbau einer Miliz mithelfen, um einen Staatsstreich der kommunistischen Resistanceverbände zu verhindern. Er entschied anders und wollte für seine Überzeugung mit der Waffe in der Hand an der Ostfront kämpfen.

Die deutschen Ausbildungsmetho-den werden gutgeheißen. Die lächerliche Mystik „Unser Gott heißt Adolf Hitler und daneben gibt es keinen anderen" wird von den Franzosen als komisch empfunden. Christian de la Maziere erlebt den Abend des Dritten Reiches in Deutschland, den fürchterlichen Zusammenbruch im Mittelabschnitt der Ostfront und die Leiden der Bevölkerung in Pommern. Gute Bürgerfamilien dieser Ostgebiete boten zum Beispiel ihre 16- bis 17jährigen Töchter den Freiwilligen der Waffen-SS an, um sie auf dem Altar eines falschen Gottes zu opfern. Der junge französische Untersturmführer gerät in russische Gesangenschaft. Diese Schilderungen gehören mit zu den eindrucksvollsten Episoden des anekdotenreichen Buchs. Er gibt sich als Kriegsberichterstatter aus, führt lange Gespräche mit einem russischen Kommissar, wird in Moskau seinen Landsleuten übergeben, auf dem Rücktransport in Hannover verhaftet und von der französischen Militärpolizei den Justizbehörden der IV. Republik ausgeliefert. Im Zentralgefängnis von Fresnes begegnet de la Maziere der Elite von Vichy, Admirälen, Generälen, Diplomaten, hohen Funktionären, die dort ihrer Aburteilung entgegensehen. Als ehemaliges SS-Mitglied erwartet ihn die Todesstrafe. Dank einer geschickten Verteidigung und familiärer Beziehungen erhält er nur fünf Jahre Zuchthaus. Diese verbringt er im Gefängnis von Clair-vaux, wo er, gemeinsam mit der Creme der journalistischen Kollaboration, hilf- und rechtlos den Schwerverbrechern ausgeliefert ist. Denn genauso wie in der Sowjetunion und im Dritten Reich sah man es in Frankreich nach der Befreiung für gut an, politische Gefangene von Verbrechern terrorisieren zu lassen.

Der „Träumer unter dem Stahlhelm" ist ein Beitrag zum Verständnis der Waffen-SS. Nach den Worten Christian de la Mazieres hatte sie nichts mit den Totenkopfverbänden der Konzentrationslager gemein. Man mag die Stellungnahmen des Autors begrüßen oder verurteilen, aber Offenheit ist ihnen auf keinen Fall abzusprechen.

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