6727758-1965_38_27.jpg
Digital In Arbeit

Anatomie des SS-Staates

Werbung
Werbung
Werbung

Das Institut für Zeitgeschichte München hat schon vor Jahren eine Sammlung seiner wissenschaftlichen Gutachten erscheinen lassen, die heute längst vergriffen ist. Anläßlich des Auschwitz-Prozesses wurden verschiedene Mitarbeiter des Institutes zu schriftlichen Sachverständigengutachten herangezogen, die nun auch gedruckt vorliegen und als Darstellung und Dokumentation einen wichtigen Beitrag zur Geschichte des Dritten Reiches darstellen.

Das Gesamtthema ist die Anatomie des SS-Staates, die Infrastruktur der einzelnen Herrschaftsformen und vor allem auch das Aufzeigen der historsichen Entwicklungen seit dem Jahre 1933.

Hans Buchheim, heute vielleicht In Deutschland der beste Kenner der Geschichte der SS, hat im ersten Band die Anfänge dieser Formation aufgezeigt und schildert ausführlich und durch Akten belegt das Verschmelzen der SS mit der Polizei. Dabei ist das Gestapo-Gesetz vom 10. Februar 1936 ebenso von größter Wichtigkeit wie die Schaffung der Dienststelle des Reichsführers-SS und Chef der deutschen Polizei, wodurch Himmler die Möglichkeit hatte, bei zwar nomineller Unterstellung unter den Innenminister die gesamte Polizei der Länder und des Reiches unter die SS zu bringen. Gestapo, Reichssicherheitshauptamt, bewaffnete Polizei sind die Grundlagen für das Entstehen der politischen Sonderreservate der SS innerhalb des Dritten Reiches gewesen. Diese Entwicklung fand noch ihre höchste Ausformung während des Krieges durch die Einsetzung der höheren SS- und Polizeiführer und durch die sehr wichtige Einführung der Sondergerichtsbarkeit für alle SS-Formationen, wodurch Himmlers Hausmacht der regulären Justiz entzogen wurde.

Sehr instruktiv sind Buchheims Untersuchungen zur Entstehung der Waffen-SS, wobei er ganz richtig darauf hinweist, daß das Märcher vom vierten Wehrmachtsteil eher ein Märchen ist. Entscheidend isi der geheime Befehl Hitlers vorr 17. August 1938, der den wichtiger Satz enthält: „Die SS-Verfügungstruppe ist weder ein Teil der Wehrmacht noch der Polizei. Sie ist eine stehende bewaffnete Truppe zv. meiner ausschließlichen Verfügung.' Aus Buchheims Darstellungen siehl man auch die Verschachtelung dei verschiedenen Formen der SS-Verbände, jenes bewußte Chaos, das irr Nürnberger Prozeß so deutlich bei der Fällung der Schuldsprüche über die einzelnen Formationen zutage trat. Auch Buchheims Ausführungen über Befehl und Gehorsam, den Lebensstil und die Mentalität dei SS verdienen besondere Beachtung, Der zweite Band befaßt sich mi1 konkreten Auswirkungen des Herrschaftssystems. Martin Broszat untersucht eingehend die Wandlungen der Konzentrationslager seit 1933, sowohl nach der organisatorischen Seite wie nach der Auswirkung während des Krieges. HansAdolf Jacobsen, der bekannteste Heereshistoriker, behandelt das Thema Kommissarbefehl und Massenexekution sowjetischer Kriegsgefangener, ein besonders düsterer Abschnitt in der Geschichte der deutschen Wehrmacht. Der Dokumentenanhang zeigt, wie wenig eigentlich von den obersten Stellen des Heeres dagegen unternommen wurde, wie sich aber durch die Ereignisse an der Front da und dort aufrechte Offiziere gegen diesen Befehl stellten. Helmut Krausnick, der Direktor des Instituts für Zeitgeschichte München, legt abschließend aus seiner langjährigen Arbeit zum Thema Judenverfolgung einen sehr gewichtigen Beitrag zu diesem Gebiet vor. Unter Heranziehung der Vorgeschichte, vor allem auch der Nürnberger Gesetze und ihrer Konsequenzen, werden die einzelnen Stufen, die zur sogenannten Endlösung führten, untersucht und analysiert. Dabei zeigt sich, daß die Absichten zur totalen Vernichtung schon frühzeitig in den Gedankengängen und Überlegungen Hitlers auftauchten, um dann während des Krieges ihre furchtbare Verwirklichung zu finden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung