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Dunkle Gestalten

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„tuclfer ante portas. Zwischen Severing und Heydrich. — Von Rudolf Diel. Interverlag AG, Zürich

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„tuclfer ante portas. Zwischen Severing und Heydrich. — Von Rudolf Diel. Interverlag AG, Zürich

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Aus der langsam abebbenden Flut der mit der nationalsozialistischen Epoche befaßten Literatur ragt dieses Buch unzweifelhaft hervor. Diels, aus dem Severingschen Polizeistab hervorgegangen, war unter Göring stellvertretender Chef der Geheimen Staatspolizei. Der Ausgangspunkt seines Berichtes ist somit das Versinken der Weimarer Republik, „der bittere Anfang". Hieher, an den Beginn der Handlung, stellt Diels die psychologische Durchleuchtung der handelnden Personen und Personenkreise des heraufkömmenden Nationalsozialismus. Diese Darstellungen zählen durch ihre tiefgründige Menschenkenntnis, die Präzision der Zeichnung und die Geschlossenheit der Handlung sicher zu den besten Schilderungen dieser komplexen Typen. Diels ist im Jahre 1934 zurückgetreten und hat einen hohen Verwaltungsposten im Rheinland übernommen. Seine Amtsdauer und damit der Rechenschaftsbericht, den dieses Buch gewissermaßen darstellt, umfassen daher die Machtübernahme durch Hitler, das nachfolgende überborden der NS-Parteiformationen, die Zeit der ersten, man könnte sagen privaten Konzentrationslager einzelner Parteigruppen und ihre Auflösung. Vor dem 30. Juni 1934 klingt der Bericht aus.

Diels schildert in ihm, wie er es, gestützt auf genaueste Kenntnis des Verwaltungs- und Polizeimechanismus, unternahm, die exzedie- renden Parteifunktionäre in den Rahmen einer gewissen, relativ gewaltlosen Legalität zurückzudrängen, aus der sie freilich mit dem 30. Juni 1934 wieder ausbrachen. Dazu mußte Diels einen unablässigen, gefährlichen Kleinkrieg gegen eine Vielfalt von kleinen Gegnern und gegen eine Clique im Aufstieg befindlicher Prominenter führen. Hitler und Göring als höchste Instanzen gegen diese ausspielend. Himmler hat Diels diese Tätigkeit im Zwielicht nicht vergessen und ihn, nachdem es Göring mehrmals gelungen war, Diels zu schützen, 1944 in die Kerker der Gestapo gebracht.

Die Legitimation des Verfassers zur Kenntnis intimster Zusammenhänge ist gegeben. Wie steht es mit seiner Glaubwürdigkeit? Diels zitiert aus dem Tagebuch des amerikanischen Botschafters William E. Dodd unter anderem:

„Der Chef der politischen Polizei der es riskierte, den Befehl Görings, Dimitroff zu töten, zu sabotieren nahm außerordentlich gefährliche Dinge auf sich, und ich würde nicht überrascht sein, wenn ich später hörte, daß er in den Kerker geworfen worden ist." Es kann andererseits nicht unerwähnt gelassen werden, daß Gisevius, der Diels Untergebener war, seinen Chef um nur einiges herauszugreifen einen „ausgemachten Schurken“ Bis zum bitteren Ende, Bd. I, S. 79, „eine braune Karikatur seines verbrecherischen Ehrgeizes" nennt S. 57 und ihm vorwirft, „einen historischen Meineid" geleistet zu haben S. 58. Ja, Gisevius beschuldigt Diels geradezu, an der Ermordung Ali Hehlers des Mörders von Horst Wessel mitbeteiligt gewesen zu sein S. 7980. So weicht auch die Darstellung beider in diesen und anderen Punkten wesentlich voneinander ab. Diels seinerseits spart nicht mit Vorwürfen gegen Gisevius. Eine Zeit im Zwielicht — Menschen im Zwielicht! Die Hauptakteure sind tot, die Gespräche mit ihnen und die Vorgänge um sie zu berichten, ist nur den überlebenden möglich. Wo sich ihre Aussagen widersprechen, wird die Wahrheit verschleiert bleiben.

Die Iden des März. Roman von Thornton Wilder. Bermann-Fischer-Verlag. 301 Seiten.

Thornton Wilder, dem Europäer bereits als Revolutionär des Theaters bekannt — Wien sah, bewunderte und wunderte sich über seine Welt- und Menschheitstragödie „Wir sind noch einmal davongekommen“ —, tritt uns nun auch als Umstürzler und Erneuerer des Romans entgegen. Unbelastet von der Verpflichtung des Historikers zu geschichtlicher Treue und chronologischer Genauigkeit, rafft der amerikanische Dichter Ereignisse, die durch Jahrzehnte voneinander getrennt waren, auf einige Monate vor dem Iden des März des Jahres 44 v. Chr. zusammen und führt darüber vier Bücher. Literarische „Weiß-, Gelb- oder Rotbücher“ sind es, voll von Material" über den Diktator, über Rom und seine Gesellschaft. Ein Dossier fingierter Briefe, Blätter und Aufzeichnungen wird geöffnet und veröffentlicht. Die klassische Tragödie der Macht und der inneren Einsamkeit ihres Trägers löst sich auf in einzelne Aufzüge und Auftritte. Die Historie wird vielfach in Histörchen, in Szenen aus dem Privatleben, in den Tratsch der „Chronique scandaleuse" des alten Rom zerlegt. Eine gut gelungene Spekulation auf die Sensationsgier des Leserpublikums, insbesondere im Heimatland des Verfassers? Nein. Thornton Wilder weiß zwar um die zu allen Zeiten gleich starke Gewichtigkeit des Menschlichen, des Allzumenschlichen im Wirken und Walten der großen Politik — seine starke Betonung dieser Erkenntnis ist nichts anderes als ein Protest gegen die Heroenkulte unserer Tage —, er begnügt sich jedoch nicht mit der Erhellung und Aufdeckung dieser Tatsache. Der Weg der Gedanken geht weiter. Von einer oft banal und manchmal sogar trivial anmutenden Auffassung der Geschichte und alles Geschehens führt er direkt, durch keine falschen Vorstellungsinhalte mehr gehemmt, zu der Erkenntnis, daß über allen Akteuren und hinter jeder Kulisse des Welttheaters eine Regie wachen muß, ein „Unerkennbares“, ein primus motor, dessen Existenz erkannt und bekannt werden will.

Austria Musik-Kurier. Herausgeber: Gesellschaft der Musikfreunde und Wiener Konzerthausgesellschaft. Erscheint monatlich August bis Oktober 1929.

Nachdem die zwei großen konzertveranstaltenden Gesellschaften seit 1945 nur je ein — vor allem seinem Umfang nach — bescheidenes Mitteilungsblatt herausgaben, wird nun von beiden gemeinsam eine reichhaltige, durch ihre gefällige und luxuriöse Ausstattung auffallende Zeitschrift Hochglanzpapier, mit zahlreichen eingestreuten Bildern ediert. Sie wendet sich weniger an den Fachmann als an den

Durchschnittskonzertbesucher — der ja in Wien ebenfalls oft Fachmann eines bestimmten Musikgebietes ist. So kann sie trotz populärer Tendenz, die sich vor allem in der großen Zahl der in einem Heft vereinigten Beiträge und dem bewegten Umbruchsbild spiegelt, ein erfreuliches Niveau wahren. Dies gilt vor allem für die kleinen monographischen Darstellungen über Bruckner, Strauß und Hofmannsthal, Busoni, Respighi und für die Chopin-Beiträge des letzten Heftes. Von besonderem Interesse ist die aus dem Nachlaß von Viktor Junk publizierte Studie über Mozart,

Goethe und die „Zauberflöte sowie das musikalische Testament von Richard Strauß — in Form eines Briefes aus dem April 1945, den der verstorbene Meister als ein „Memorandum über die Bedeutung der Oper und ihre von mir erhoffte Zukunft, besonders in Wien“ bezeichnet. Natürlich fehlen auch die in solchen Veröffentlichungen üblichen Porträtskizzen lebender Künstler in Wort und Bild ebensowenig wie die meist mit viel diplomatischem Geschick dargelegte „Stellung zur neuen Musik’ der verschiedenen Prominenten.

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