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Die Festnahme der „Verräter”

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Zu einer zweiten Unterredung zwischen Schirach und Schubert nahm der General verhängnisvollerweise den Stadtkommandanten von Wien, Generalleutnant Sinzinger, mit, dem Schirach das Goldene Parteiabzeichen von der Uniform riß; gleichzeitig erklärte Schirach, daß Kodrė aus Wien verschwinden müsse, da die SS die Absicht hätte, ihn zu erschießen. Schon am 22. Juli erfolgte seine Verhaftung. In Verhören, die Kriminalrat Sanitzer durchführte, wurde Kodrė dem Oberst Graf Marogna-Redwitz gegenübergestellt. Vor allem wurde versucht, ibm wegen der Inaktivität der verhafteten Partei- und SS-Führer, die er in seiner ersten Aussage bestätigte, eine Falle zu stellen. Man wollte offenbar für die Berichterstattung „nach oben” den üblen Eindruck verwischen, daß keiner der Inhaftierten ein dienstliches Gespräch mit seiner Vorgesetzten Dienststelle verlangt hatte. Kodrė blieb bei seiner Aussage, Weil ftäch seiner eigenen Angabe dadurch seihe übrigen Aussagen in Zweifel gezogen worden wären. Die Festigkeit Kodrės hat ihm weitere Haft in Berlin, zusammen mit Canaris, Sinzinger, Heusinger und anderen, eingetragen. Schließlich wurde er als Häftling nach Mauthausen eingeliefert. Marogna-Redwitz dagegen wurde hingerichtet. Wie durch ein Wunder entkam Hauptmann Szokoll dem Zugriff der Gestapo, da er durch keinen der Verhafteten belastet wurde.

Die Wiener Parteispitzen haben versagt

Wie tief aber das Mißtrauen und die Unsicherheit des Führerhauptquartiers gegenüber den Ereignissen in Wien, die man billig zu bagatellisieren versuchte, war, geht aus einem Briefwechsel der Parteikanzlei hervor, der sich mit einer eventuellen Ablösung einer Reihe von Spitzenfunktionären der NSDAP in Österreich befaßt: im Zuge der Erhebungen der Parteikanzlei wurde ein Mitarbeiter Bormanns, Reichsamtsleiter Friedrichs, nach Wien entsandt, um an Ort und Stelle in geheimen Unterredungen mit dem stellvertretenden Gauleiter Scharizer und dem Gauleiter von Niederdonau, Jury, die Situation zu klären. Der Be richt, der vom 21. September 1944 gezeichnet ist und auf dessen erstem Blatt die Kenntnisnahme Himmlers und Bormanns handschriftlich vermerkt ist, beurteilt Persönlichkeiten der SS und Polizei in Wien nicht gerade schmeichelhaft:

„Pg. Scharizer erklärte weiter, daß ihm die Personalverhältnisse auf dem Gebiet der SS und Polizei eine gewisse Sorge bereiteten. Querner wäre für Wien zu ruhig. Er wäre nicht das, was Wien an dieser Stelle brauche. Wie mir Gauleiter Dr. Jury am 18. September 1944 noch mitteilte, soll Querner ersetzt werden. Vom General der Ordnungspolizei, Schumann, könne man sagen: Es rieselt der Kalk. Der Polizeipräsident Gotzmann sei gesundheitlich fertig, im übrigen ein sturer Polizist. Der Standortführer der Waffen-SS, Goedeke, sei ein Greis und der Führer der allgemeinen SS in Wien, Hornung, ein früherer österreichischer Generäl,’fii praktisch mehr’ Zivilist als

Das Ende wirft seine Schatten voraus

Angesichts der Tatsache, daß in einer solchen Aussprache mit einem Abgesandten Bormanns sowohl Jury als auch Scharizer Rücksicht auf den drittmächtigsten Mann im Führerhauptquartier, den Reichsführer der SS, Himmler, zu nehmen hatten, erscheint diese Niederschrift als eine volle Bestätigung der Angaben Kodrės, der von einem Versagen der höheren SS- Führer berichtet.

Die „Auslösung der Kartei” der Gestapo umfaßte allerdings in Österreich viele Namen: Reither, Seitz, Mörl, später Figl, Hurdes und hunderte andere. Die Ereignisse des 20. Juli 1944 in Wien blieben Episode. Die Fernwirkungen aber waren weitgehend. Kaum drei Monate später berichtete Kaltenbrunner an Bormann in einem Blitzfernschreiben:

„Die Stimmung, die ich in Wien vorfand, ist so schlecht und die Haltung fast aller Schichten der Bevölkerung eines sofortigen Eingreifens bedürftig.”

Das nahe Ende des „Großdeutschen Reiches” warf seine Schatten voraus.

(Schluß folgt)

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