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Gegen den Strom

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Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung. Von Gerhard Ritter. ( Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart. 630 Seiten.

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Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung. Von Gerhard Ritter. ( Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart. 630 Seiten.

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Gerhäff '“-Ritter hat sein großes Alterswerk dem Freund und Weggefährten Carl Goerdeler und der deutschen Widerstandsbewegung gewidmet. Die Bedeutung des Werkes liegt auf zwei Ebenen: zunächst in der Darstellung des Lebens und Wirkens des früheren Leipziger Oberbürgermeisters und konservativen Politikers Goerdeler in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, im Aufzeigen seiner Bemühungen, im Rahmen der Widerstandsbewegung gewissermaßen der Koordinator zu sein — eine Aufgabe, die Goerdeler bis zum bitteren Ende zu erfüllen trachtete. Das zweite Anliegen des Buches ist eine Analyse der deutschen Widerstandsgruppen, ihrer geschichtlichen Voraussetzungen, vor allem eine sehr sorgfältige Untersuchung über die einzelnen Oppositionszentren der Kirchen, des Bürgertums, der Soldaten und der sozialistischen Widerstandsbewegungen. Prof. Ritter konnte durch das besondere Entgegenkommen der amerikanischen Stellen reiches Quellenmaterial, das bisher verschlossen war, erstmalig einsehen und eine Fülle von Details zutage fördern, die der Forschung von größtem Nutzen sind. Bei der Zusammenfassung dieser Ergebnisse entstand auch in der Darstellung ein meisterhaftes Werk, bei dem die innere Anteilnahme des Verfassers mitschwingt, aber die Objektivität des geschulten Historikers dort, wo die Kritik anzusetzen hat, nicht zu kurz kommt. Goerdelers Bestrebungen gingen dahin, zunächst durch Anpassung an das System noch Möglichkeiten einer evolutionären Entwicklung von innen heraus zu schaffen. Wie dies auch Beck und andere glaubten. Als Hitler das deutsche Volk in die Katastrophe des Krieges .riß, glaubte Goerdeler gemeinsam mit seinen Mitarbeitern, das „andere Deutschland“ auch im Ausland zu vertreten, und seine verschiedenen Friedensbemühungen und Gespräche zwischen den Fronten bilden ein eigenes Kapitel zum Thema der Friedensbemühungen im zweiten Weltkrieg. Gegenüber dem VeASngriis'der totale1 Mächtaüsweitung Hitlers nach innen und außen waren alle diese Schritte vergeblich, solange die Diktatur unbeschränkt herrschen konnte. Goerdelers Glaube an das Recht, an die Beamtenschaft, die Offiziere, die gemeinsam nach einem erfolgten Umsturz Deutschland wieder aufbauen sollten, war eine Fehlrechnung angesichts der vollkommenen inneren Auflösung der Struktur der historischen soziologischen Gruppen durch Partei, SD und alle anderen revolutionären Erscheinungen des Nationalsozialismus. Auch wurden die Friedenspläne, die Goerdeler oftmals im Rahmen seiner konspirativen Tätigkeit erstellte und den Westmächten übermittelte, nicht mehr ernst genommen angesichts der Tatsache der realen Macht Hitlers. Es ist bezeichnend, daß der 20. Juli 1944 nicht unmittelbar aus den Kreisen um Goerdeler seinen Ausgang nahm, sondern Stauffenberg und seine Gruppen zunächst die Initiative an sich rissen. Nach der Verhaftung Goerdelers begann der tragische Ausklang dieses Lebens: Verhöre durch die Mächtigen des Sicherheitsdienstes, sein verzweifelter Versuch, sich selbst noch als Friedens-bringer des schon zusammenbrechenden Reiches aus den Gefängnismauern heraus ins Spiel zu bringen, selbst unter der Preisgabe seiner Persönlichkeit. Obwohl die zugreifende Polizeigewalt zögerte, da maßgebliche Personen um Himmler in dem Häftling Goerdeler vielleicht noch ein Werkzeug für eigene Friedenspläne sahen, erfolgte seine Hinrichtung. Für den österreichischen Leser sind die Hinweise auf die Verbindungen mit den österreichischen Widerstandskreisen um Weinberger, Hurdes und Seitz, aber auch seine Kontakte mit Körner und Heinrich von Srbik nicht uninteressant, dachte Goerdeler doch lange Zeit an ein Verbleiben Oesterreichs im Reichsverband — eine Illusion, die durch die Gespräche mit den Gruppen in Wien zerstört wurde.

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