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Gastrokritiker: Essen nach Lust und Laune

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Früher lechzten die gebildeten Stände nach den Lobpreisungen und Schmähreden der Kunst-Literaten. Wer sich mit spitzer Zunge und geschliffener Feder über die künstlerischen Produktionen des vergangenen Wochenendes hermachte, der konnte in der feinen Gesellschaft einiges bewegen - und sei es auch nur eine Hand.

Hans Weigel, der das böse Wort von der „Kredenz auf Radeln" für eine beleibte Sopranistin geprägt haben soll, mußte dies einstens schmerzhaft verspüren. Friedrich Torberg freute sich lebenslang am Applaus, der ihm für die Erfindung des „endenwollenden Beifalles" gespendet wurde. Kein Wunder, wenn sich die

Kritiker alsbald schneller vermehrten als die kritisierten Kunden. Aber die Inflation der kritischen Zunft, sie mag noch so sehr dem Lebensgefühl derer entsprechen, die im Wohlstand leben, hat derselben nicht gut getan.

Wo alle alles bemäkeln und jeder jeden kritisiert, da geht die Spannung flöten, die Lust am Verriß schwillt ab.

Nun sitzt aber bekanntlich im Menschen ein kleiner Teufel, und der will sich an fremdem Schaden freuen. Und so wuchs die Zunft der Sportreporter, die ja längst nicht mehr bloß berichten, sondern nach Lust, Laune oder aus Langeweile öffentlich Noten vergeben. Es reüssierten die Technikrezensenten, die sich vornehmlich der fahrbaren Untersätze, die die Menschen

bewegen, angenommen hatten, und schließlich - und ganz konsequent -die kritischen Reisejournalisten. Die sagen, pardon, schreiben Ihnen unmißverständlich vor, in welchem Landesteil welcher Inseln in welchem Meer Sie in diesem Jahr gerade noch eine Woche Urlaub machen dürfen, wenn Sie - irgendwo - dazugehören wollen.

Der Höhepunkt der Entwicklung kritischer Kunst sind freilich die Gastrokritiker. Das sind diejenigen, die sich - mit oder ohne Auftrag -in renommierte Beköstigungsunternehmen einschleichen, dort die Speisekarte rauf und runter probieren, auf Spesen natürlich, und anschließend ihr Entsetzen oder Entzücken zu Papier bringen, gegen Honorar selbstverständlich. Offensichtlich werden die Speis- und

Trank-Reportagen von den Lesern aus den gehobenen Gehaltsständen goutiert, denn man findet sie in allen Magazinen, die auf die prallen Brieftaschen der Wohlhabenden zielen.Und sie zeigen auch Wirkung: Schon manch ein Wirt mußte nach einer gastrokritischen Philippika sein Lokal schließen, schon manch eine Kaltmamsell das Restaurant wechseln.

Wenn Sie also vorhaben, demnächst einen Gourmet-Tempel zu eröffnen - und offen zu halten, dann sorgen Sie sich nicht allzusehr um Küche und Keller, suchen Sie sich zuallererst einen guten Pressereferenten. Das haben die Künstler ja schließlich auch getan.

Mit Erfolg.

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