Ist Gott queer?

Den Einsatz für mehr Klimaschutz von Pastor Quinton Ceasar in seiner Predigt auf dem 38. Evangelischen Kirchentag in Nürnberg fand ich großartig. Als er dann zu mehr Toleranz und Inklusion der LGBT-Gemeinde aufrief, sagte ich mir als muslimischer Theologe: „Was für ein mutiger Pastor, der sich berechtigterweise für Vielfalt in unserer Gesellschaft einsetzt!“ Bei seiner Aussage „Gott ist queer“ dachte ich mir: „Oh, wenn das ein muslimischer Prediger in einer Moschee sagen würde, würden ihn die Menschen höchstwahrscheinlich sofort von der Kanzel herunterholen. Er würde nie wieder predigen dürfen.“ Einige würden ihm sogar den Glauben absprechen. Als ich aber die vielen negativen Reaktionen von christlicher Seite auf die Aussagen des Pastors hörte, wurde mir klar, dass das Thema nicht nur Muslime, sondern viele in unserer Gesellschaft herausfordert.

Wir benötigen mehr Bereitschaft, sich mit dem Thema an sich auseinanderzusetzen, um die Betroffenen aus deren Perspektive besser verstehen zu können, ohne voreilig normative Urteile zu fällen. Spätestens seit der Fußball-WM in Katar wissen wir, wie sensibel Themen wie Homosexualität im islamischen Kontext sind. Eigentlich zählen sie zu den Tabuthemen, über die ungern gesprochen wird, und wenn, dann mit erhobenem Zeigefinger, der vor einem vermeintlichen Moralverfall warnen will.

Das Problem vieler besteht darin, dass sie meinen, genau zu wissen, was Gott ist und will, und sich als seine Anwälte sehen. Daher habe ich auch ein Problem mit der Aussage, Gott sei queer. Denn Gott selbst bleibt unbegreiflich. Die Schöpfung zeugt von einem Gott, der offensichtlich für Vielfalt ist. Die Würdigung dieser ist wiederum ein Zeugnis für den Glauben an einen Gott, der an den freien und selbstbestimmten Menschen glaubt. Nicht über Gott und was er ist sollte debattiert werden, sondern über den Menschen und was ihm guttut.

Der Autor leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Uni Münster.