7029799-1989_26_04.jpg
Digital In Arbeit

„Krumme Zeilen"

Werbung
Werbung
Werbung

Der Tod des österreichischen Psychiaters Friedrich Hacker, der im deutschen Fernsehen vor Millionen-Publikum während einer Live-Sendung tot zusammenbrach,und die dramatische Verschlechterung des Gesundheitszustandes des früheren griechischen Ministerpräsidenten Papandreou unmittelbar nachdem er den Aufträg zur Bildung einer neuen Regierung erhalten hatte, haben wieder einmal demonstriert, daß menschliche Planung und Tätigkeit urplötzlich über den Haufen geworfen werden kann.

Im Falle Papandreous kommt die besondere Dialektik hinzu, die der Sphäre der Macht und der Politik wie keiner anderen menschlichen eigen ist. Papandreou, der sich mit Tod und Teufel verbünden wollte, um an der Macht zu bleiben, hat seiner Partei durch sein Ausscheiden möglicherweise den Weg für die Bildung jener Linkskoalition fr eigemacht, die sonst wohl an seiner Person gescheitert wäre.

Trotzdem muß man zögern, diesem Menschenopfer, das sich aus dem totalen Einsatz im Wahlkampf ergeben hat, eine echte Opferqualität zuzubilligen oder darin gar ein Martyrium zu erblicken. Denn diese hohen christlichen Werte und Begriffe setzen voraus, daß es sich um eine moralisch untadelige Sache handelt, für die das Opfer gebracht wirdJüine Koalition mit totalitären Varianten des Sozialismus aber ist gerade in der jetzigen Situation der inneren Auflösung des Kommunismus eine bedenkliche Schützenhilfe für das Eindringen totalitärer Restbestände in eine freie Gesellschaft. Oder doch ein erhebliches Risiko.

Jedenfalls lehrt der Fall Papandreou und der Fall Papandreous in geradezu dramatischer und paradigmatischer Weise, wie stark erotische und sonstige private Motive, Korruption und Klüngelwirtschaft, aber auch Tod und Todestrieb in die Politik hineinspielen. Wie sehr der Mensch auch versucht sein mag, die teils schuldhaften, teils schicksalshaften Daseinsmächte von Liebe und Tod, Schuld und Sühne, zu verdrängen und in den Griff der Macht zu bekommen - angesichts der Urgewalt dieser eigentlichen Daseinsmächte sind diese Versuche zum Scheitern verurteilt.

Nur Gott als der Herr der Geschichte ist imstande - nach den Worten Paul Claudels-auf krummen Zeilen gerade zu schreiben.

Dem Menschen scheint es aber nicht erspart zu bleiben, diese krummen Zeilen und Wege immer wieder zu produzieren und zu reproduzieren.

Antike Tragödien haben sich nicht nur im Altertum ereignet, sondern sie finden auch in den modernen„Nachfolge- staaten“statt - auch wenn sich die Kostüme und Vorzeichen geändert haben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung