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Den Gestalten von Fėlicien Marceau wurde nachgesagt, sie würden alles tun, um der Armut, dem Elend, der Angst zu entgehen. Angst ist auch die Triebkraft der Marie-Paule, der Hauptgestalt der fast 20 Jahre alten Komödie „Der Nerz” (im Theater in der Josefstadt).

Die attraktive Marie-Paule erzählt im Casino von Monte Carlo einem Croupier ihre Lebensgeschichte, wobei die Grenzen zwischen einst und Eieüte fallen, die Erzählerin mitunter rriit den Gestalten von einst spricht, die Vergangenheit schließlich in die Gegenwart übergeht. In Marie Paule steckt die Angst, sich eines Tages ohne Sous auf der Straße zu finden. Das treibt sie aus dem Arme-Leute-Milieu von Mann zu Mann, bis sie den Nerz, Sinnbild des Gesichertseins, schließlich doch bekommt.

Man denkt an Lukians „Hetärengespräche”, an Aretino - das ist die Einstellung der Marie-Paule: „Die Männer bändigen wie die Löwen im Zirkus”, die Praktiken beherrschen, um aus dem eigenen Körper Kapital zu schlagen, Abgebrühtheit allem gegenüber, Herzlosigkeit, gegebenenfalls Brutalität. Zweifellos betrachtet Marc’efau seine Gestalt mit grimmigem Behagen, mit hämischer Lust: So ist die Welt, nur so kommt man vorwärts! Doch haben diese Szenen nicht die Durchschlagskraft seines Stücks „Das Ei”, und das unentwegte Nacheinander von Episoden läßt die Anteilnahme erlahmen.

Außerdem liegt Hilde Krahl die (gealterte) Marie-Paule gar nicht. Sie wirkt herzlich statt herzlos, lächelt dauernd hebenswürdig, das Abgebrühte fehlt. Auch die Verletztheit, aus der die Antriebskraft dieser Gestalt erstand, spürt man nicht genügend. Christiane Rücker kommt mit der jungen Marie-Paule ganz gut zurecht. Karl Schönböck ist ein glaubhafter Croupier. Unter der Regie von Peter Loos sind noch 31 Darsteller für die meist kurzen Episoden eingesetzt; Wolfgang Müller-Karbach bietet eine praktikable Lösung des Bühnenbüds.

Durch die berüchtigt dünnen Wände vieler Neubauten hört man einiges, was sich bei Nachbarn begibt, vielleicht zuviel. Das kann durchaus Anregung für eine Story bieten, so entstand das Stück „Dünne Wände” von dem 34jährigen Wiener Gerhard Iwin, das im „Theater die Tribüne” zur Uraufführung gelangt.

Es ist aber kläglich wenig, wenn der junge Rudolf bei seiner Nachbarin immer wieder - ihn erregende - Schlurfgeräusche hört, er wird sie ja doch heiraten. Das Gelüst seiner Mutter nach einem feschen, „philosophierenden” Handwerker soll das Stück auffüllen. Überdies bekommen die beiden Damen Kinder von dem geliebten Kühlschrank, weil die Technik die Herrschaft über die Menschen angetreten hat. Das soll symbolisch sein. Arg, sehr arg. Iwin fehlt bisher völlig das Gefühl dafür, was tragfahige Motive sind. Talent für leichten boulevar- desken Dialog? Für reichlich seichten. Unter der Regie des Volkstheaterschauspielers Alfred Rupprecht spielen er selbst, Herta Dinhobl, Doris Weiner und Paul Robert gewandt die Rollen des Vierpersonenstücks. Sieg- bert Zivny entwarf den Einheitswohn- raum.

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