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Neue „Gesetzlichkeit“

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Noch in diesem Jahr will der Generalsekretär der Kommunistischen Partei in der Sowjetunion, Leonid Breschnjew, sein „Lebenswerk“ dem „.gesamten sowjetischen Volk“ zur Diskussion vorlegen: Den Entwurf der neuen sowjetischen Verfassung, die die „Stalin-Verfassung“ vom 5. Dezember 1936 ersetzen soll.

Der Initiator der neuen Verfassung ist aber in der Sowjetunion vergessen. Am XXI. Parteitag der KPdSU

im Jahr 1959 war es der damalige sowjetische Parteichef Nikita Chruschtschow, der die Verfassung aus dem Jahr 1936 für „veraltet“ erklärt hatte, und die Ausarbeitung einer modernen, der neuesten Entwicklung entsprechenden Verfassung verlangte. Aber erst drei Jahre später wurde dann vom Obersten Sowjet eine 97 Mitglieder zählende Kommission, die die neue Verfassung ausarbeiten sollte, gewählt. Vorsitzender wurde N. S. Chruschtschow persönlich.

Seit der Wahl der Kommission ist es um die neue Verfassung still geworden. Als Chruschtschow 1964 gestürzt wurde, übernahm ihren Vorsitz sein Nachfolger Leonid Breschnjew, aber zur eigentlichen Arbeit wurden die Mitglieder nicht mehr einberufen. Inzwischen sind von 97 Mitgliedern zehn gestorben, einige wurden aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen, andere sind in den Ruhestand getreten. Man nahm an, das Projekt einer neuen Verfassung sei von Breschnjew ad acta gelegt worden.

Wie aber aus Moskau verlautet, hat Breschnjew jetzt wieder die Initiative ergriffen. Noch In diesem Jahr soll nach den Vorstellungen der Entwurf der neuen Verfassung der sowjetischen Bevölkerung zur Diskussion vorgelegt und dann „verbes-

sert“ um angenommene Vorschläge, auf dem XXV. Parteitag der sowjetischen Kommunisten, der im Frühjahr 1976 stattfinden soll, gebilligt werden.

Die neue Verfassung wurde in ihren wichtigsten Punkten von Breschnjew persönlich geprägt. So soll sich der Parteichef gegen die Vorstellungen seines Vorgängers Chruschtschow ausgesprochen haben, der in der Verfassung auch das Prinzip der Rotation der Funktionen in allen Teilen des Staatsapparates verankert wissen wollte. Auch die Grundsätze der „sozialistischen Gesetzlichkeit“, die Chruschtschow sehr präzise formuliert haben wollte, sollen sich jetzt in mehr oder weniger nichtssagenden Phrasen niedergeschlagen haben, die es den Behörden eher ermöglichen, die „Gestzlichkeit“ in ihrem Sinn auszulegen.

Für die außenpolitische Entwicklung der Sowjetunion ist auch die Änderung der bisherigen Veirfas-sungsbestimmungen über die Möglichkeit des Austritts einer oder mehrerer Teilrepubliken aus dem Verband der Sowjetrepubliken wichtig. Diese — wenn auch bisher nur theoretische — Möglichkeit soll nach dem Wunsch Breschnjews nun vollends entfallen. Neu dagegen ist die Formulierung vom „sowjetischen Volk“ als einer politischen Einheit. Ihr zufolge müßten eigentlich alle Artikel der Verfassung aus dem Jahre 1936, soweit sie die Nationalitäten und ihre Rechte betreffen, geändert und somit die Rechte der einzelnen Nationalitäten im Prinzip eingeengt werden.

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