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Schwärmer, Titan oder Chamäleon ?

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„Vierzig Jahre sind es nun her, daß ich an den geistigen Schicksalen des Abendlands teilnehme. Um welche Arbeit gerungen wurde, ich war dabei", bekennt Hermann Bahr in einem Selbstporträt.

Wie sehen wir heute, fünfzig Jahre nach seinem Tod, Hermann Bahr? Als Herrn Adabei oder als europäischmythischen Proteus der Vielgestaltigkeit?

Zu beiden Rollenfächern gehört der Skandal als Dauerrequisit. 1883 von der Wiener Universität verwiesen, weil er die Losung „Heim ins Reich" proklamierte, schrieb er einige Jahrzehnte später den Roman „Österreich in Ewigkeit". Aus dem Antisemiten wurde — der Sozialist. Aus dem politisch Engagierten — der Nur-Künstler des Impressionismus und Expressionismus. Und zu guter Letzt: aus dem Nur-Künstler - der religiös beunruhigte Mensch, der schließlich in den Katholizismus heimfand.

Es kann nicht überraschen, daß diese rasante Ideenlaufbahn, auf der er so nebenbei zwanzig Essaybände, an die vierzig Theaterstücke, zehn Romahe und unablässig Theaterkritiken ins Publikum warf, in der unterschiedlichsten. Weise kommentiert wurde.

Die Palette reichte vom Verwandlungskünstler über den Don Juan der Formen bis zum Windhund und Rattenfänger.

War es sein Lebensge,setz, als ausdrucksstärkster Mime der Ideen auf der Bühne seiner Epoche zu agieren? Ein Seelenaufwiegler, dem die Jugend folgte?

Was trieb ihn nun wirklich durch die europäischen Theater von Rußland bis nach Paris, durch die Welt als Experimentierfeld immer neuer Denk- und Gestaltungsstile? Es war nicht bloß der Ehrgeiz des unermüdlichen Vorläufers, sondern der Drang eines Suchenden, der in der Abfolge der Verwandlungen die mystische Einheit umkreiste und ihr immer näher kam. Und von dort her ist es keine Koketterie mit der Bescheidenheit, wenn Bahr sagt: „Jeder Blick nach der Weltliteratur zeigt mir meine Nichtigkeit."

Dieser Satz mindert keineswegs die Faszination, die von den Essays dieses proteischen Geistes ausgeht, dessen Tragik es war, seinen ungeheuren Vorrat an Gefühl, Erfahrung und Intelligenz zu keinem dauerhaften Werk der Poesie kristallisieren zu können.

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