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Wachablöse an der Met

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Der sein Amt am 1. Juli antre-dende neue Direktor der Metropolitan Opera, Göran Gentele — früher Leiter der Königlichen Oper in Stockholm —, wird sich an seinem Eröffnungsabend am 16. September nicht nur als

„Hinter-den-Kulissen“-Persön-lichkeit, sonder gleichzeitig als Regisseur der neuen „Carmen“-Produktion (Dirigent Leonard Bernstein) hervortreten.

Es gibt keinen „Met-Direktor“ im 20. Jahrhundert, der auch als Regisseur gewirkt hat. Zwar hat man im „Fall Gentele“ den Vertrag auf die Tatsache basiert, daß er in Schweden als Opern-, Theater- und Filmregisseur tätig war, doch wird sein Entschluß, gleich bei seiner ersten Premiere nicht nur die Risiken eines Managers, sondern auch die künstlerischen eines Spielleiters auf sich zu nehmen, bereits heftig kommentiert.

Während der 64 Jahre ihres Bestehens — seit 1908 — hatte die „Met“ nur vier Direktoren: einen Italiener, Giulio Gatti-Casaza, einen Amerikaner, Herbert Wi-therspoon, der aber noch vor Beginn seiner Amtstätigkeit starb, einen Kanadier, Edward Johnson, und einen Ausiro-Engländer, den eben geschiedenen und vor kurzem von der englischen Königin geadelten Sir Rudolf Bing.

Es war Bing, der die erste Negersängerin, Marion Anderson, an die Met brachte und der sich die besten Regisseure der Prosabühnen für seine Oper suchte. Er war wohl der geistreichste, bissigste und witzigste aller Direktoren, und während der 22 Jahre seiner Amtszeit hat er die Presse — die ihn sicher schwer vermissen wird — stets in Atem gehalten. Er war auch der bisher bestbezahlte Direktor, und man munkelte, daß sein Einkommen bis auf 100.000 Dollar im Jahr kam.

Natürlich startet Gentele auf einer niedrigeren Basis. Finanziell auch im allgemeinen eingeengt, bringt Gentede in seiner ersten Saison nur zwei Neueinstudierungen: „Carmen“ und „Siegfried“. Die letztere von Eastern Airlines komplett finanziert. Der größte Teil der Besetzungen stammt für 1972/73 noch von Bing und seinem Team. In dieser rasanten Zeit geht das nicht anders. Die Verträge werden in den meisten Fällen schon für die kommende (dritte) Saison abgeschlossen. Die Erbschaft Bings an Gentele sind die Hauptdarsteller von „Carmen“: Marilyn Hörne, Teresa Stratas, James McCracken und Tom Krause.

Genteies Carmen — wie in einer Pressekonferenz letzthin erwähnt — stellt Probleme. Ist doch Bings „Carmen“ vor vier Jahren mit Jean-Louis Barraults überproduziertem Aufwand ein klares Defizit gewesen. Gentele fällt also die Pflicht zu, diesen Defekt zu korrigieren. Zwei neue Männer: Josef Swoboda und David Walker, entwerfen Dekorationen und Kostüme; der Anziehungspunkt Nr. 1 ist natürlich am Dirigentenpult Leonard Bernstein.

Martina Arroyo drückt der nächsten Saison ihren Stempel auf: gleich mit vier Debüts: Aida, Maskenball, Macbeth und Tosca. Marilyn Horns Premieren, nach ihrer Carmen, werden „Barbier von Sevilla“ und „Orpheus und Eurydice“ sein. Birgit Nilsson singt „Siegfried“ und „Walküre“. Eine weitere Erneuerung an der Met sind die kontraktlichen Verpflichtungen von James McCrak-ken und seiner Frau, Sandra Warfield. Als neue Dirigenten wurden der junge James Levine und Peter Herrman Adler, der sich seit vielen Jahren mit Fernsehoper erfolgreich beschäftigte, engagiert. Rafael Kubelik wird Chefdirigent, ein Posten, der bisher an der Met nicht besetzt wurde.

Die Tatsache, daß Genteies erste Saison im großen und ganzen eine Fortsetzung der Bing-Ära sein wird, setzte manche Reporter bei der Pressekonferenz in Erstaunen, andere fanden es jedoch ganz logisch. Merkwürdigerund ungewohnterweise wurden an den neuen Direktor keine „scharfen Fragen“ gestellt.

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