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Wachablöse in der Metropolitan-Oper

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Unter dramatischen Umständen — die Teilnehmer einer Pressekonferenz wurden wenige Stunden vorher telephonisch in die Metropolitan-Oper gerufen — hat sich die Bekanntgabe des Führungswechsels vollzogen, der durch den Rücktritt Rudolf Bings als Intendant des führenden amerikanischen Opernhauses (mit Ende der Spielzeit 1971/72) bedingt ist. Mit ausgesuchter Freundlichkeit, aber nur ein paar kurze Sätze sprechend, stellte Bing den 53jährigen Intendanten der Königlichen Oper Stockholm, Göran Gentele, als seinen vom Aufsichtsrat des Opernhauses gewählten Amtsnachfolger vor. Gentele, der den neuen Posten offiziell am 1. Juli 1972 antritt, wird zur Planung der ersten Spieljahre seiner Administration dem Haus bereits ein Jahr früher zur Verfügung stehen.

Der dreiköpfige Spezialausschuß des Met-Präsidiums, der mit der heiklen Nachfolgefrage beschäftigt war, hat eine zweifach überraschende Entscheidung getroffen: weder ein Amerikaner, noch ein im amerikanischen Musikleben eine Spitzenposition einnehmender Künstler wird Bings nachfolgen. Und heißt es auch heute in einem Ausschußkommunique, man sei seit dem Tage von Bings Rücktrittsbekanntgabe mit Gentele im Gespräch gewesen, ist es dennoch ein offenes Geheimnis, daß alle Kontakte, die mit gebürtigen und naturalisierten Amerikanern, so mit Leonard Bernstein, George London, Peter Mennin, Erich Leinsdorf und Julius Rudel, aufgenommen worden waren, zu keinem Ergebnis führten. Man war — die Zeit drängte — in eine Sackgasse geraten und hatte vorsichtshalber bei Bing angeklopft: würde er, fände sich tatsächlich niemand, gnädig geruhen, ein oder zwei Jahre länger auf dem Posten zu bleiben? Schneller als jede Antwort, fiel die Tür ins Schloß. Einem „Times”-Reporter bedeutete Bing: „Ich nähere mich meinem 70. Geburtstag —, es ist hoch an der Zelt, daß ich den Laden einem Jüngeren übergebe.” Kaum eine Woche war verstrichen — und man hatte diesen „Jüngeren” erkoren.

In der Wahl seiner Assistenten wird Gentele freie Hand haben. Musik direktor in Stockholm ist Silvio Var- viso, aber — ohne diesen Namen zu nennen — meinte Gentele bloß, er würde sich eines „musikalischen Mitdirektors” zeitgerecht versichern. Als ein vom Schauspiel gekommener Opemregisseur und -intendant will er eine Gleichberechtigung aller szenischen und schauspielerischen Valeurs mit den gesanglichen und musikalischen erreichen und bestrebt sein, zugunsten zeitgenössischen Schaffens für das Musiktheater eine enge Zusammenarbeit mit dem Opemtheater der Juilliard School (auf dem bisher in dieser Spielzeit Dunkel liegt) und mit den anderen „Anrainern” auf dem Lincoln- Center-Komplex durchsetzen zu können. Die Realisierung dieses Planes — wenn auch langfristig — mag unter günstigen Bedingungen zum Gewinnen eines an Opemkunst interessierten Publikumsnachwuchses führen, möglicherweise auch in einer graduellen Ermäßigung der inflatorisch hochgetriebenen Met- Eintrittskartenpreise. Ob eine „Renaissance” des stiefmütterlich behandelten Met-Balletts stattfinden wird und ob man in New York, dem Beispiel Stockholms folgend, auch Opemaufführungen für Kinder und Studenten anzusetzen die Mittel haben wird, bleibt von der „Entwicklung der Dinge” und — vor allem — von der Einsicht der verschiedenen Gewerkschaften abhängig.

Gentele beantwortete die Frage, warum er die verhältnismäßig „gemütliche” Atmosphäre Stockholms aufgibt und sich in das Wespennetz New York setzt, schlagfertig: „Weil ich eine Kämpfernatur bin!” Das und ein paar für die Fernsehkameras getauschte Küsse mit seiner blonden Schauspielergattin Marit trug dem neuen Intendanten ersten Beifall an seiner neuen Arbeitsstätte ein. Er soll — so die generelle Meinung — es nicht bedauern müssen, durch Auffrischung des Met-Spielplanes diesen Kampfesmut Signum seines schweren Amtes werden zu lassen: der Anbruch eines neuen Kapitels New Yorker Operngeschichte ist eines solchen Kämpfens Siegeschance!

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