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Vom Buchhändler zum Met-Manager

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Ein im Kindler-Verlag München erschienenes, 333 Seiten starkes Buch, das bereits in Nr. 21 der FURCHE vorangekündigt wurde, trägt den Titel „Die Sir-Rudolf-Bing-Memoiren, 5000 Abende in der Oper“. Es ist ein maßvoll genüßlich zu lesendes, nicht nur Operninteressenten ansprechendes Buch und stellt der Hauptsache nach eine Selbstbiographie des Autors dar, um erst in der zweiten Hälfte der 28 Kapitel auf seine Tätigkeit als Intendant der Metropolitan Opera in New York einzugehen und damit jenes Leserinteresse zu befriedigen, das der Titel weckte.

Daß Bing von seiner aufwendigen Arbeit in manchen, so besonders in den Glyndbourne- und Edinburgh-

Kapiteln allzu sehr pro domo spricht, ist bei einem einer Selbstbiographie ähnelnden Buch nichts Seltenes. Jedenfalls ergibt sich aus der Lektüre, daß Bing seine bis zum „Met“-Gene-ralmanager führende Karriere weniger der für einen Künstler erforderlichen Eigenpersönlichkeit als seinem hervorragenden Organisationstalent verdankt, das ihn, in Wien mit seiner Buchhändler- und Konzertagenturzeit beginnend, über seine Tätigkeit im paritätischen Stellennachweis in Berlin, als Theatersekretär unter Ebert in Darmstadt, an der Städtischen Oper in Berlin und seine maßgebliche Mitwirkung bei der Errichtung der Glydebourner und Edinburgher Festspiele bis zu seiner New Yorker Intendantenstellung aufsteigen ließ.

Mithelfend waren dabei eine differenzierte Menschenkenntnis und ein geschickter Umgang mit Verbindungen herstellenden Persönlichkeiten der Kunst- und Finanzwelt. Auf Bing trifft eine Bemerkung in seinem Buch genau zu, daß er in seiner Wiener Konzertagenturzeit von Doktor Eger, dem ihm bekannten Leiter des Hessischen Landestheaters, und dem Direktionsrat der Wiener Staatsoper, Karl Lion, gelernt habe, daß man „im Theater eine sehr nützliche und wichtige Rolle spielen könne, ohne selbst aktiver Künstler zu sein.“ Wohltuend wirkt die Ehrlichkeit des Autors, mit der er zugesteht, daß er sein glückliches Curri-culum vitae nicht allein seiner Arbeit, sondern manchen für ihn günstigen, just zur rechten Zeit eintretenden Zufällen verdankt.

Die große Aufbauarbeit, die Bing an der „Met“ bevorstand, läßt eine Schilderung der von ihm 1949 beim Antritt seiner Stellung vorgefundenen Umstände erkennen. In dieses Kapitel fallen unter anderem die katastrophalen Zustände der Bühne mit ihren veralteten Einrichtungen, die schlechten Garderobeverhältnisse, eine usuell gewordene, ungenügende Regieführung durch irgendeinen alt gewordenen, „routinierten“ Sänger, die auf ein Minimum beschränkte Anzahl der Proben und die Vorherrschaft mancher Sängerstars, wie beispielsweise Lauritz Melchior, eine die Vorausplanung fast unmöglich machende Budgetgebarung und die dem Auf sich tsrat mühsam abzuringenden Forderungen von Neuinszenierungen. Für den Opern- und Musikfreund sind dann die Kapitel über das 23 Jahre dauernde Zusammenwirken Bings mit

bedeutendsten Dirigenten, Regisseuren und Gesangstars von speziellem Interesse, weil es ihm einen Einblick in das oft mit unglaublichen Schwierigkeiten verbundene Getriebe des führenden Musiktheaters Amerikas gewährt.

Aber auch jene Leser, die auf einen mehr kulinarischen Genuß des Buches ausgehen,.werden gewiß auf ihre Rechnung kommen, wenn sie quasi „unter der Hand“ mit allerlei Affären und Randbemerkungen über bekannte Künstler delektiert werden. Da wäre Ljuba Welitsch zu erwähnen, die Bing als „überwältigend charmante“, ihm das Du-Wort antragende Frau kennenlernt, später aber als peinlich schockierende, sich skandalös benehmende Musette in der „Boheme“ abtut. Richard Tucker, einer der großen „Met“-Tenöre, mit dem Bing 1949 vorsorglich einen Dauervertrag abschloß, würfelte mit dem neuen Intendanten wegen einer Gagendifferenz von 50 Dollar und verliert, was ihn noch jahrelang schmerzt. Und was war 1950 noch für eine billige Zeit, als ein Mario del Monaco einmal für ein Gastspiel ein Honorar von 200, sage und schreibe zweihundert Dollar erhielt!

Man erfährt von den endlosen Verhandlungen mit dem ständig zwischen „Scala“- und „Met“-Abschlüs-sen schwankenden di Stefano, der

Verträge oft nicht einhält (seine so großartig begonnene Karriere endet für die „Met“ mit einem 1965 total mißglückten Comeback). Mehrere Seiten des Buches erzählen von den Gastspielmiseren und Kaprizen der launischen Maria Callas, deren Gatten das Honorar vor jeder Vorstellung in barem ausgehändigt werden mußte. Daß man ihn 1500 Dollar in 5-Dollar-Scheinen auszahlen und nachzählen ließ, war eine kleine „Gegenbosheit“ der Intendanz. Besonders nett mußte Bing mit dem nicht leicht zu behandelnden Franco Corelli sein, wenn er wieder einmal einen seiner „schwierigen“ Tage hatte; als liebenswürdiges Ritual war der Kniefall anzusehen, den der Herr Intendant vor Birgit Nilsson bei ihrer alljährlichen Rückkehr an die „Met“ machte. Aus einigen Formulierungen des mit 32 Bildseiten ausgestatteten Buches, aber schon gleich aus seinem Titel ist unschwer zu entnehmen, wie sehr Sir Rudolf Bing seine Erhebung in den Adelsstand zu schätzen weiß — eine kleine, dem Autor gern verziehene Schwäche!

„DIE SIR-RUDOLF-BING-MEMOI-REN: 5000 ABENDE IN DER OPER“. Kindler-Verlag München. 333 Seiten, S 232,40.

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