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Warum österreichische Literatur österreichische Literatur ist

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Zwischen der österreichischen Dienstpragmatik, dem traditionellen Bürostil, dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, dem Amtskalender einerseits und der österreichischen Literatur anderseits gibt es, wie man frühestens seit Grillparzer, der das Bürgerliche Gesetzbuch sprachlich überarbeitete, und spätestens seit Doderer wissen sollte, viele Zusammenhänge. Einer der Gründe dafür mag sein, daß die hiesige Bürokratie im Lauf der Jahrhunderte eine hochdifferenzierte Verwaltungssprache ausgebildet hat, deren reiche und differenzierte Mittel zur verbalen Bewältigung der Wirklichkeit offenbar vorzüglich geeignet sind. Als einen Beweis für diese Hypothese lege ich den Routinebericht eines Wiener Wachmanns vor, der gewiß nur eine bescheidene Schulbildung genossen hat, dem man aber in der Marokkanerkaserne genug Verwaltungsstil eingetrichtert hat, um ihn instand zu setzen, einen komplizierten Vorfall samt den daraus abzuleitenden sicheren, wahrscheinlichen und möglichen Konsequenzen aufs genaueste darzustellen. Ich habe an diesem Rapport, der mir durch Zufall in die Hände fiel, nicht ein Jota und keinen Beistrich geändert.

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Zwischen der österreichischen Dienstpragmatik, dem traditionellen Bürostil, dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, dem Amtskalender einerseits und der österreichischen Literatur anderseits gibt es, wie man frühestens seit Grillparzer, der das Bürgerliche Gesetzbuch sprachlich überarbeitete, und spätestens seit Doderer wissen sollte, viele Zusammenhänge. Einer der Gründe dafür mag sein, daß die hiesige Bürokratie im Lauf der Jahrhunderte eine hochdifferenzierte Verwaltungssprache ausgebildet hat, deren reiche und differenzierte Mittel zur verbalen Bewältigung der Wirklichkeit offenbar vorzüglich geeignet sind. Als einen Beweis für diese Hypothese lege ich den Routinebericht eines Wiener Wachmanns vor, der gewiß nur eine bescheidene Schulbildung genossen hat, dem man aber in der Marokkanerkaserne genug Verwaltungsstil eingetrichtert hat, um ihn instand zu setzen, einen komplizierten Vorfall samt den daraus abzuleitenden sicheren, wahrscheinlichen und möglichen Konsequenzen aufs genaueste darzustellen. Ich habe an diesem Rapport, der mir durch Zufall in die Hände fiel, nicht ein Jota und keinen Beistrich geändert.

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„Während meines Rayonsdienstes am 23. 5. 19.., 03.05 Uhr wurde ich auf dem Lerchenfelder Gürtel nächst der Grundsteingasse von dem Taxilenker O. F. aufgefordert, gegen seinen Fahrgast, wie später festgestellt wurde, den Kaufmann H. M., einzuschreiten, weil dieser sich weigere, den Fuhrlohn zu bezahlen, nicht aussteigen wolle und ihn tätlich bedrohe.

Sofort bei Beginn meines Einschreitens stürzte sich M. auf den Taxilenker und schrie laut: Ich haue dir ein paar in die Fresse, du Arschloch. Mit diesen Worten versuchte er auf den Taxilenker einzuschlagen. Ich konnte ihn nur mit Mühe abdrängen. Dieses Verhalten hatte zur Folge, daß sich trotz der frühen Morgenstunde etwa 15 Fußgänger um uns ansammelten. Diese Leute waren über das Verhalten des M. so erregt, daß ich sie nur mit Mühe von Mißhandlungen abhalten konnte.

Da sein Verhalten, welches objektiv geeignet war, die Ordnung an einem öffentlichen Orte zu stören, auch tatsächlich zu einer Störung der Ordnung geführt hatte, wurde M. zwecks Anzeigeerstattung zur Ausweisleistung verhalten.

Er wandte sich sofort mir zu und schrie mich in barschem Ton an: „Sie, verschwinden Sie, wissen Sie, wer ich bin, ich bin Direktor. Und wer sind Sie, Mensch, Sie sind gar nichts. Was glauben sie denn, einem deutschen Herrenmenschen wollen Sie etwas sagen.“ Er wurde nun von mir in dem Sinne abgemahnt, daß er in Österreich verpflichtet sei, sich gegenüber einem Polizeibeamten ruhig und sachlich zu verhalten und daß er, falls er dieses sein Benehmen fortsetzen werde, von mir wegen ungestümen Benehmens zur Anzeige gebracht werden müsse. Trotz dieser Abmahnung setzte er sowohl sein in der Sprache als auch in der Bewegung der notwendigen Ruhe entbehrendes Benehmen weiter fort. Ich mahnte ihn nun erneut ab und machte ihn ausdrücklich darauf aufmerksam, daß er von mir festgenommen werde, wenn er sein ungestümes Benehmen nicht einstellen werde. Doch auch diese Abmahnung blieb fruchtlos und er schrie mir weiter zu: „Das fehlt mir noch, mir von einem kleinen Österreicher etwas sagen zu lassen, hauen Sie doch schon endlich ab“. Da er nun trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrte, er sich außerdem weigerte, seinen Namen zu nennen und sich auszuweisen, wurde er von mir festgenommen und aufgefordert, mir in das ho. Wachzimmer zu folgen.

Nach dieser Aufforderung wandte er sich von mir ab und wollte weggehen. Ich war so gezwungen, ihn durch Anwendung von Brachialgewalt am Weggehen zu hindern. Ich erfaßte ihn am rechten Oberarm und drängte ihn in der Folge, da er passiven Widerstand durch Stehenbleiben leistete, in Richtung zum Wachzimmer. Er versuchte dann, sich von mir loszureissen, sodaß ich ihn mit einer Hand auch am Rockkragen anfassen mußte, um ihn dann endlich doch in das Wachzimmer Grundsteingasse bringen zu können. Dabei wurden wir von mehreren Passanten umringt, die versuchten, auf M. tätlich einzudringen.

Im Wachzimmer versuchte er, sofort durch den Eingang auf die Straße zu flüchten und konnte nur durch Anwendung von Brachialgewalt an diesem Vorhaben gehindert werden. Er schrie dem Wachkommdt., Rev. Insp. G, zu, daß er hier der Herr sei und er als Deutscher nicht angegriffen werden dürfe, daß er exterritorial sei und nur er hier anzuschaffen habe“. Dabei erfaßte er das Schreibpult im Pärteienrauni und riß es aus seiner Verankerung. Er mußte mit Brachialgewalt daran gehindert werden, daß er das Wachzimmermobilar beschädige. Er hielt nun Rev. I. G. die Faust vor das Gesicht und drohte, daß er sich zu wehren wisse.

Da er durch seinen tatsächlichen Versuch, das Wachzimmermobiliar zu beschädigen und durch seine ständigen Drohungen, tätlich gegen den Wachkommdt. vorzugehen, bewies, daß er als äußerst gefährlich anzusehen war, wurde er über Anordnung von Rev. I. G. an den Händen geschlossen. Die Anlegung der Handfessel konnte nur unter Anwendung von Brachialgewalt erfolgen, da er um sich schlug, dabei zu Fall kam und dabei Rev. I. G. mitriß. Nur unter Mithilfe des Rs. I. H., Rs. I. R. und mir gelang es dann endlich, ihm die Handfessel anzubringen.

Über Befragung erklärte er, daß er einen Schlag in das Gesicht bekommen habe, sich aber nicht verletzt fühlte. Er wies keine sichtbaren Verletzungen auf. Es ist aber durchaus möglich, daß er bei der mehrmaligen Anwendung von Brachialgewalt verletzt wurde oder sich verletzt hatte.

M. dürfte mittelschwer alkoholisiert gewesen sein. Er war aber durchaus in der Lage frei zu gehen, sprach ohne Schwierigkeit und erkannte auch seine Lage.“

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