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Digital In Arbeit

Standard kontra Kibbuz

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Israels Kollektivsiedlungen, Kibbu-zim benannt, sind das Schauobjekt, das die Israelis stolz jedem Touristen zeigen. Man besieht sich die Kollektivsiedlungen, ist begeistert, fährt wieder weg und schreibt eventuell enthusiastische Artikel darüber, ohne sich für die Grundprobleme dieses sozialen Experiments zu interessieren.

Der erste Kibbuz in Palästina wurde von jungen jüdischen Sozialisten, die kurz nach der russischen Revolution im Jahre f905 flüchteten, errichtet. Bis zur Gründung des Staates Israel nahmen die Kollektivbewegungen politisch und gesellschaftlich eine dominante Stellung im jüdischen Sektor des Landes ein. Interessanterweise war es gerade die Kommunistische Partei, die bis zum zweiten Weltkrieg noch illegal war, die diese Bewegung bekämpfte. Bei ihrer Aufgabe, gegen Kapitalismus und Imperialismus anzukämpfen, betrachteten die Kommunisten den Kibbuz als eine „sozialistische Insel“ innerhalb eines „kapitalistischen Meeres“. Statt ihn zu bekämpfen, wurde der Kapitalismus Palästinas durch die Kibbuzbewegung indirekt. VfflWItfttüti Denn“ KibbWim, die braches Wüstenland fruchtbar machten und neue Siedlungen errichteten, konnten dies nur mit Geldern durchführen, die in der ganzen Welt von den jüdischen Nationalfonds zu diesem Zweck aufgebracht wurden. Statt die Arbeiter zum Klassenkampf anzuhalten, flüchteten sie sich in einen „utopischen Kommunismus“.

Der Kibbuz als solcher ermöglichte es den jüdischen Einwanderern, die größtenteils intellektuelle oder kaufmännische Berufe ausübten, als Landwirte zu arbeiten, ohne dabei ihr kulturelles Niveau auf den Lebensstandard des herkömmlichen Bauern zu senken. Durch die Kollektivarbeit wurde die landwirtschaftliche Arbeit mehr rationalisiert, mechanisiert und verhältnismäßig produktiver gestaltet. Die Arbeitszeit wurde auf 8 bis 10 Stunden festgesetzt und ermöglicht es den Kibbuzbauern, sich nach der Arbeit geistigen Interessen zu widmen. Sie erhalten kein Bargeld, aber der Kibbuz sorgt für seine Mitglieder wie für eine große Familie. Kleidung wird an die Mitglieder zentral verteilt. Frauen haben mehr Möglichkeiten, ihre Kleider zu wählen, obzwar sie in ihrer Garderobe noch immer hinter den städtischen Frauen Israels zurückstehen. Für Kosmetik wird nur wenig gesorgt! Der Kibbuz schickt seine Mitglieder jedes Jahr für eine Woche auf Urlaub, sorgt für seine Kranken sowie für die älteren, nicht mehr arbeitsfähigen Leute dieses Kollektivs. Dadurch, daß die Kinder von Pädagogen betreut werden, stehen auch viele weibliche Arbeitskräfte der produktiven Arbeit zur Verfügung. Die Eltern sehen ihre- Kinder meist nur einige Stunden nach der Arbeit. Die Kinder schlafen in separaten Kinderhäusern, und sogar junge Mütter müssen dort ihre Kinder stfllfn und sie dann der Obhut einer Kinderpflegerin überlassen.

Obzwar das Kibbuzmitglied von jeglichen Alterssorgen entlastet ist, gehört ein hohes Maß von Idealismus dazu, sich in solch eine „große Familie“ einzufügen, die einem doch einen großen Teil der persönlichen Selbständigkeit raubt. Zum Beispiel wird in einem gemeinsamen Speisesaal gegessen. Das Essen wird für einige hundert Leute gekocht, wobei keine Rücksicht auf individuelle Wünsche genommen werden kann — ausgenommen natürlich ärztliche Diätvorschriften.

Die Erziehung und die Allgemeinbildung der Kibbuzjugend hat weitaus das höchste pädagogische Niveau in Israel, aber wenn ein Vater seinen Sohn auf die Universität schicken will, so ist dies nicht seine Privatangelegenheit, sondern in erster Linie vom Einverständnis des Kibbuz abhängig. Der Kibbuz hingegen würde dies nur beschließen, wenn der Sohn besonders befähigt ist und das Universitätsstudium auch dem Kibbuz später zugute kommt. Aus all diesen Gründen trat der Kibbuzbewegung immer nur die intellektuelle Elite der Einwanderer bei.

Besucher aus der Sowjetunion und anderen Ostblockstaaten konnten ihre Begeisterung für den Kibbuz nicht verbergen, da die russischen Kolchosen in ihrer sozialen Struktur noch weit hinter den israelischen Kibbuzim zurückstehen. In Kolchosen wird bis heute noch nach Arbeitsnormen gearbeitet. Im Kibbuz dagegen arbeitet jeder nach seinen individuellen Möglichkeiten und erhält alles nach seinen Bedürfnissen. Seit Beginn der Kibbuzbewegung war die Arbeitsmoral statt auf Normen auf pure Überzeugung und inneren Anstand basiert.

Obzwar der Kibbuz vor Israels Staatsgründung nur zirka 10 bis 15 Prozent der jüdischen Bevölkerung anzog, nahm diese Bewegung eine leitende Stellung unter den jüdischen Einwohnern ein. Ein Großteil der Arbeiterführer und Hagana-Offiziere waren Mitglieder von Kibbuzim.

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