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Der Kibbuz als Schauplatz eines Krimi

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Der Griff zum Krimi kann verschiedene Gründe haben, einer davon ist die Möglichkeit, spielerisch verpackt mehr über ein Land, eine Gruppe und deren Probleme zu erfahren. Der oder die loten markieren in diesem Fall den Kulminationspunkt eines Konfliktes. Die israelische Autorin Batya Gur hat ihren Kommissar Ochajon bislang zwei Fälle lösen lassen, seine Premiere führte ihn in den Kreis der Psychotherapeuten von Jerusalem, im zweiten Fall fanden wir uns im Kreis von Germanisten wieder und beschäftigten uns, so wie der Kommissar, mit Lyrik. Beide Gruppen standen der Autorin nahe.

In Ochajons drittem Buch sind keine Randgruppen Mittelpunkt des Interesses. Der Scheinwerfer wird auf eine Bewegung gerichtet, die von ihrem Image lange als das Herz der israelischen Gesellschaft bezeichnet werden konnte, auch wenn heute nur rund vier Prozent der Israelis diese Lebensform gewählt haben. Das Leben im Kibbuz hat sich verändert, viel von den Vorstellungen einer gemeinsamen Lebensführung, vom Ideal einer fast kommunistischen Gesellschaft ist an der Realität gescheitert, revidiert und aufgegeben worden. Die Schließung der Kinderhäuser, in denen die Kinder gemeinsam schliefen und gemeinsam groß wurden, sind ein Beispiel für diesen Wandel. Die Einführung von kleinen Küchen in den Wohneinheiten, und die Durchbrechung des Rituals des gemeinsamen Essens im Speisesaal ist ein anderes Beispiel. Aber ein Mord im Kibbuz, das erschüttert die Grundfesten der Gründergeneration, das ist so schrecklich wie ein Mord in der Familie. Im Mord an der Kibbuz-Sekretärin Osnat Harel kumulieren alle Konflikte.

Daß dieses Konstruktionsprinzip nicht deutlich wird, macht die Stärke dieses Krimis aus, denn bevor der Mord passiert, erleben wir den Kibbuz, wenn der Knesset-Abgeordnete Ahron Meroz, einst ein Kind dieses Kibbuz', zur Erntedankfeier er-scheint und seine Liebe zu Osnat neu aufflammt. Die Gespräche der beiden über die Pläne zur Neugestaltung des Kibbuzlebens liefern die seismischen Vorbeben, die dem großen Ausbruch vorangehen. Im Zuge der Ermittlungen wird auch die Geschichte der Gründergeneration erzählt, zu der die graue Eminenz Dworka gehört, die für das Kinderhaus zuständig war und zu der alle kamen und kommen, wenn sie einen Bat brauchen, ebenso wie die Schwestern Guta und Fanja, die für den Kuhstall und die Näherei zuständig sind, die in der Shoa traumatisiert wurden und deren Leben als konstante Verweigerung jeglicher Veränderung verstanden werden kann: Zeitgeschichte als Nebenprodukt des Leseflusses, vermittelt über Personen und deren Leben.

Im Laufe der Untersuchung des Mordes entsteht ein Psychogramm einer Gemeinschaft, die zusammen lebt und arbeitet, deren Lebensgefühl aber nur mit dem Begriff Entfremdung umschrieben werden kann.

Es gibt, wie gesagt, etliche Gründe für den Griff zu einem Krimi - von der Beunruhigung, die ein Mord mit sich bringt, abgesehen gibt es meist auch die beruhigende Gewißheit, daß selbst so kluge und weltoffene Persönlichkeiten wie hier Ochajon sich mit Vorgesetzten herumschlagen müssen, die eitel sind, alles besser wissen und ihren Untergebenen das Leben schwer machen. Klischee oder nicht, solche Verhaltensweisen treffen nicht nur für Chefs in der Polizei zu. Also Trost als weiterer Zusatznutzen. Unter all diesen positiven Vorzeichen hätte es sich der Verlag ersparen können, zwanghaft ebenfalls einen biblischen Titel finden zu müssen, der an die der vorangegangenen Bücher anschließt, aber dem Inhalt eigentlich nicht entspricht.

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