Für Bildungsbeflissene: Krimis von Batya Gur

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Die israelische Autorin hetzt im "Lied der Könige" den Kommissar Ochajon kreuz und quer durch die Musikgeschichte und verpaßt auch dem Leser eine geballte Ladung Musikwissen.

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Die israelische Autorin hetzt im "Lied der Könige" den Kommissar Ochajon kreuz und quer durch die Musikgeschichte und verpaßt auch dem Leser eine geballte Ladung Musikwissen.

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Bei der israelischen Krimiautorin Batya Gur ist es bereits Tradition, daß sie die Bibel als Stichwortbringer verwendet. "Das Lied der Könige" heißt ihr neuester Roman, in dessen Mittelpunkt Kommissar Michael Ochajon steht. Über weite Strecken scheint der Mord fast eine Nebensache, denn die Aufmerksamkeit der Autorin gehört dem einsamen und bisher in allen Beziehungen gescheiterten, keineswegs typischen Polizisten. Wer mit dem Fernglas ungeteilter Anteilnahme ein Schicksal betrachtet, dem verschwimmt die Umwelt - vor allem, wenn der Held fast bis zum Weinerlichen selbstvergessen ist. Bereits in dieser Wiedergabe fordern die Zweifel ihren Tribut. Denn mit einem Kleinkind am Arm hat man diesen Kommissar noch nicht gesehen, und bereits im letzten Roman war doch sein Sohn schon beim Militär.

Zufälle regieren die Welt. Doch daß Ochajon am Beginn Brahms hört und dasselbe Stück auch zum Repertoire seiner Nachbarin im nächsten Hause gehört, ist fast zuviel des Guten. An einem einsamen Sederabend nimmt dann das Unglück in der Wohnung Ochajons mit den größer werdenden Wasserflecken an der Decke seinen Lauf, begleitet von den Klängen der Ersten Symphonie von Brahms. Die Anzeichen sind mehr als deutlich, Ochajons neuester Fall spielt im Musikermilieu, der Kommissar ist schließlich nicht der Mann fürs Grobe. Wir dürfen ihm immer dann über die Schulter schauen und an den Besprechungen der Mordkommission mit ihren Ritualen teilnehmen, wenn die mörderische menschliche Natur gerade in besseren Kreisen zum Durchbruch gelangt ist. Psychotherapeuten, Germanisten und Musiker, das sind Batya Gurs Täter, und die Mitglieder des Kibbuz gehören ja auch sozusagen zum israelischen Adel. Diese Milieus garantieren keine gewöhnlichen Ausflüge in menschliche Abgründe wie Neid oder gekränkte Eitelkeit, sondern erfordern eine eingehende Auseinandersetzung mit dem Fachgebiet.

Wir haben denn auch mit dem Kommissar bereits früher textkritische Vergleiche von Gedichten angestellt und in die Seelen von Psychotherapeuten geschaut. Im "Lied der Könige" führt die Spur zum Mörder über jede Menge erläuterter Musik, über angewandte Musikgeschichte und - so viel sei verraten - einen gewissen Vivaldi nebst dem, was bislang von ihm noch nicht bekannt war.

Ermordet wird übrigens der Vater der Musikerfamilie der van Geldens, Inhaber eines Antiquariats. Was haben die Söhne, der Dirigent Theodor und der Stargeiger Gabriel sowie die Tochter, die Cellistin Nina, zu verbergen? Es bleibt nicht bei einem Mord, denn ein Unbekannter beweist, daß man mittels einer Cellosaite nicht nur Bach spielen, sondern mit Geschick und Wut auch einen Kopf vom Rumpf trennen kann - und das alles im Konzerthaus.

Die Ermittlungsmethoden von Ochajon sind seinen Fans bekannt. In konzentrischen Kreisen sucht er das Motiv für die Tat zu orten und keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. So lernen die Leserin und der Leser stets einiges dazu und nicht wenige werden sich wünschen, Musik so erklärt zu bekommen, wie dies Theodor in der zentralen Passage des Romans in einem Vortrag tut. Daß die Autorin es versteht, Fachwissenschaftler geschickt in die Romanhandlung einzubauen, erhöht den Reiz. (Im Anhang erfahren wir, daß das Fachliche aus einem Vortrag, gehalten von Ariel Hirschfeld im Musikzentrum Mishkenot Sha'ananim im Juli 1995, stammt.)

Theodor spürt das Wesen der klassischen Musik auf und findet es zum Beispiel in der Haffner-Symphonie Nr. 35 im zweiten Satz. Dieses Innehalten auf einem Ton hängt für ihn mit dem Puls zusammen: "Die klassische Musik ist nämlich die erste Musik, die als Ganzes innerhalb der Seele stattfindet. Und das Herz, der Puls, die grundlegendste Lebensfunktion, das ist die verborgene, anhaltende Stimme der klassischen Musik, das ist die Musik, die dem Tempo einen so dominierenden Platz verleiht, bis sie es schließlich als selbständige Stimme herausstellt. Das ist die göttliche Stelle, und deshalb schlafen einige Zuhörer ein."

Nicht so die Leserinnen und Leser, denn das Finale hat es in sich. Doch wenn das Rätsel gelöst ist, scheint alles zu einfach. Perfekt dargebotene Musik kann auch zur Befriedigung der Eitelkeit dienen. Der Weg ist aber das Ziel, und auf diesem Weg stehen viele berühmte Musikernamen, und jede Menge Musikstücke ertönen. Dies sollte genügen und entschädigt für die zuweilen durchsichtige literarische Konstruktion, deren pädagogische und belehrende Grundpfeiler nicht verkleidet sind.

DAS LIED DER KÖNIGE Roman von Batya Gur Aus dem Hebräischen von Vera Loos und Naomi Nir-Bleimling Goldmann Verlag, München 1997 604 Seiten, geb., öS 328,

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