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Israels „Treibhaus” für Offiziere

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Die Zahl der Verluste während Israels Sechstagekrieg belief sich auf etwa 1000 Gefallene, zirka 25 Prozent davon waren Mitglieder der verschiedenen Kibbuzim, owohl der Prozentsatz der Kibbuzbevölkerung nur zirka drei bis vier Prozent der jüdischen Gesamtbevölkerung Israels ausmacht. Der Dozent für Psychologie an der Tel Aviiver Bar- Ilan-Universität, Dr. Jehuda Amir, untersuchte an Hand von statistischen Unterlagen die Jahrgänge 1961/62 und 1963/64 der Kibbuzjugend, die zum Militärdienst eingezogen worden waren. Es stellte sich heraus, daß diese Kibbuzjugend jederzeit zu größerem freiwilligen Einsatz bereit ist als der Rest der Bevölkerung und man verhältnismäßig viel mehr Fallschirmspringer oder Marinekommandokonstrukteure unter dieser Jugend findet als bei dem Durchschnitt der Jugend Israels. Die Untersuchung teilte die konskribiiarten Jahrgänge in drei verschiedene Formationen ein: a) Jugendliche, die im Kibbuz geboren wurden oder bis zu ihrem zehnten Lebensjahr in den Kibbuz kamen, b) Soldaten, die zwischen ihrem zehnten und sechzehnten Lebensjahr in den Kibbuz kamen und dort ihre Erziehung genossen und c) alle „anderen” Soldaten.

Der Bildungsgrad der Kibbuzjugend ist höher, und zirka 80 Prozent wurden von den Rekrutierungsämtern unter „höherer Bildung” eingestuft. Die „Kibbuzzöglinge” (siehe Gruppe b) standen in ihrer Allgemeinbildung nur etwas höher als die „anderen”. Die Kenntnis dar hebräischen Sprache war bei den Kibbuz- mitgüedem viel besser als bei dem Durchschnitt, uind abgesehen von einigen Ausnahmen erhielten alle gute Noten. Unter den Kibbuz mit- gliedem ist die Zahl der Kinder von europäischen Eltern sehr hoch (ungefähr 90 Prozent, im Gegensatz zu 80 Prozent nicht orientalischer Jugend bei den „anderen”).

Bei Eignungsinterviews für Offizierskurse fand man 36 Prozent der Kibbuzjugend passend für diese Kurse, 13 Prozent der Kibbuz- zöglinge (Gruppe b) und nur sieben Prozent bei allen anderen (Gruppe c), die ungefähr einen Querschnitt der allgemeinen Bevölkerung bilden und einen normalen Prozentsatz für Offiziersanwärter in entwickelten Staaten darsteilen.

Dr. Jehuda Amir begnügte sich nicht mit diesen statistischen Daten und verglich die Offiziersaspiranten unter den „anderen”, die aus ähnlichen Elternhäusern wie die Kib- buzsöhne kamen. Die Eltern hatten ungefähr das gleiche Bildungsniveau wie die Kibbuzeitem, waren zum größten Teil europäischer Abstammung und gehörten den höheren Gesellsdiaftsschichten Israels an. Auch hier war der Erfolg der Kibbuzsöhne ein viel größerer, obzwar nicht ganz so hoch wie bei dem allgemeinen Querschnitt. Nachdem sie ihren Offiziersgrad bereits erreicht hatten, zeichneten sich die Kibbuzsöhne besonders aus und avancierten verhältnismäßig schneller als ihre Kollegen aus der Stadt.

Pioniere einer sozialen Idee

Was ist eigentlich die Ursache dieser krassen Unterschiede? Dr. Amir beantwortete diese Frage wie folgt: „Gerade die Kibbuzlebensform hält die Kinder dazu an, schon in jungen Jahren schwierigere Aufgaben auf sich zu nehmen und sie mit Erfolg auszuführen. Das Kind wird von seiner Kibbuzumgebung aufgemuntert und angehalten, seine ihm gestellten Aufgaben mit Erfolg zu lösen, auch wenn es sich nur um kleine und unwichtige Sachen handelt, und nach Bewältigung seiner Aufgabe fühlt es sich so befriedigt, als ob es einen großen Wettbewerb gewonnen hätte. Hinzu kommt noch, daß das Durch- schndttskibbuzmitglied sich als Pionier einer sozialen Idee fühlt, und darauf sein Leben aufgebaut hat. Aus diesem Grund ist er überzeugt, daß seine Lebensform eine bessere ist als die der Stadtbewohner, daß er mehr leistet und mehr zum Aufbau des Landes beiträgt. Er fordert auch von seinen Kindern Einsatzbereitschaft und daß sie beim Militär ihren Mann stellen und sich mehr als der Durchschnitt bewähren.

Besonders interessant sind die Erfolge der Kibbuzzöglinge (Gruppe b). Hier handelt es sich teilweise um Kinder aus zerrütteten Familien, die in den Kibbuz geschickt wurden, um entweder den Eltern eine Scheidung zu ermöglichen oder der Mutter eine neue Heirat zu gestatten. Ein anderer Teil dieser Kibbuzzöglinge rekrutiert sich aus den unteren sozialen Gesellschaftschichten, die oft von der Sozialfürsorge in den Kibbuz geschickt wurden, da das Elternhaus keine passende Atmosphäre für ihre Erziehung bot.

Nach dem Sechstagekrieg merkte man unter der Kibbuzjugend ein neues ideologisches „Erwachen”. Besonders spürbar war es im „Kibbuz Ha-meuohad”, einer der drei großen Kibbuzbewegungen (die insgesamt zusammen zirka 100.000 Seelen umfassen). Die Führer des „Kibbuz Ha-meuchad” sind auch die Führer der Achdut Ha-avoda-Par- tei, die schon jahrelang Maxima- listen in ihren zionistischen Forderungen waren. Nach den Junitagen forderten sie die Annexion der von Israel besetzten arabischen Gebiete an den Staat. Um dieser Forderung mehr Nachdruck zu geben, bildeten sich einige Gruppen von Jugendlichen, die auf eigene Faust und nur mit passiver Unterstützung der Regierung drei neue Kibbuzim in den besetzten Gebieten gründeten.

Auf der letzten Tagung des Kibbuz Ha-meuchad forderten die Veirtreter der Jugend, daß der ganze neue Jahrgang, der dieses Jahr das Gymnasium beendet, ausschließlich neue Kibbuzim gründen soll und nicht mehr, nach Absolvierung des Militärdienstes, in die „Mutterkibbuzim” zurückkehren soll. Obwohl diese Forderung bei den „Älteren” Anerkennung fand, wurde sie nicht angenommen, denn der Kibbuz Ha-meuchad leidet an akutem Mangel an Arbeitskräften und kann nicht so ohne weiteres auf junge Arbeitskräfte verzichten. Man entschloß sich zu einem Kompromiß, nach dem 20 Prozent dieses Jahrgangs zur Neuansiedlung ,, abkommandiert ‘ ‘

wurden.

Im Gegensatz zur städtischen Jugend ist die Kibbuzjugend nach dem Sechstagekrieg idealistischer geworden. Der alte Pioniergeist der Väter wurde neu belebt und viele der Jugendlichen sagen: „Wir wollen nicht in die von unseren Vätern gegründeten Kibbuzim zurückkehren, sondern wollen mit eigenen Händen etwas Neues schaffen.”

Die Kibbuzbewegung ist heute viel selbstsicherer als noch vor wenigen Jahren. Damals bestand die akute Gefahr, daß viele der Kibbuzsöhne nach ihrem Militärdienst nicht mehr in den Kibbuz zurückkehren, sondern es vorziehen werden, eine militärische oder akademische Laufbahn einzuschlagen. Heute schätzt man die Zahl der „Abspringer” unter den Kindern des Kibbuz auf weniger als zehn Prozent. Erst dieser Tage beschloß die linkssozialistische Kib- buzbwegung des Haschomer Hazair, mehr Mitgliedern die militärische Lr.ufbahn zu ermöglichen, und schon heute ist der Prozentsatz der Mitglieder der Kibbuzim unter den Berufsoffizieren ein verhältnismäßig hoher, besonders unter den Kampffliegern der israelischen Luftwaffe.

Dr. Menach’im Gerson, Absolvent der philosophischen Fakultät der Humboldt-Universität in Berlin, und seit 1934 einer der Leiter des Erziehungswesens der Kibbuzbewegung, glaubt die Ursache der größeren Erfolge der Kibbuzsöhne in der besonderen Erziehungsweise in den Kibbuzim zu finden. Dort erhalten die Kinder keine Noten und müssen keine Prüfungsarbeiten wie in den städtischen Schulen abgeben. Sie werden dadurch zum Lernen angehalten, daß man sie am Unterrichtsstoff interessiert, damit sie sich innerhalb ihrer eigenen Gesell- schaftsgruppe beweisen. Selbstverständlich gibt es auch hier Ausnahmen, doch im allgemeinen zeigen die Kinder Interesse am Unterricht, erreichen gute Resultate und erhalten während ihres zwölfjährigen Studiums eine Allgemeinbildung, die im Durchschnitt die der Abiturienten übersteigt, obwohl diese mehr formales Wissen aufweisen können, in historischen Daten bewanderter sind und wissen mehr Namen.

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