Gutes Gewissen Indiens

Werbung
Werbung
Werbung

Im Vorfeld der gerade zu Ende gegangenen Wahlen in Indien forderten Hindu-Nationalisten, ihr Buch zu verbieten - doch Arundhati Roy lässt sich nicht als "Verräterin" verunglimpfen.

Für die indischen Eliten ist Arundhati Roy ein "enfant terrible". Dazu haben im geringeren Umfang ihr internationaler Erfolgsroman "Der Gott der kleinen Dinge", für den sie 1997 den Booker-Preis erhielt, ihre vielen politischen Essays und ihr zivilgesellschaftliches Engagement beigetragen. Roy wurde 1959 in der nordostindischen Stadt Shillong geboren, wuchs aber im südindischen Bundesstaat Kerala auf. Roy war Hippie in Goa, Drehbuchautorin, Schauspielerin und studierte Architektur, unter anderem in Florenz. Mit ihren Essays hat sie 1998 aus Anlass der Atombombentests in Indien angefangen. Sie protestierte gegen Staudammprojekte, war im Polizeigewahrsam und im Gefängnis. Auch für westliche Regierungen ist die weltberühmte Autorin mittlerweile eine Persona non grata. Denn spätestens seit dem Krieg gegen Afghanistan hat Arundhati Roy ihren Weltruhm genutzt, um vehement gegen die westliche Wirtschafts- und Militärpolitik aufzutreten.

Arundhati Roy lebt in einer Mittelschichtssiedlung im Süden Delhis. Ihre Dachgeschoßwohnung mit Terrasse und Blick über die Megacity hat die ehemalige Architektin selbst entworfen. Herausgekommen ist dabei ein Stil, der indische und westliche Innenarchitektur miteinander vereint.

Gemessen an ihren Möglichkeiten lebt Arundhati Roy in bescheidenen Verhältnissen. Viel braucht sie nicht für sich selbst, lehnt den Luxus ab und spendet bis heute für politische Initiativen. Eine halbe Million Britische Pfund hat sie Mitte der 90er Jahre als Vorschuss für ihren Roman erhalten. Einen großen Teil davon gab sie der Bewegung gegen den Bau des umstrittenen Narmada Staudammes im Bundesstaat Gujarat, um den Kampf der ansässigen Bevölkerung gegen ihre Vertreibung zu unterstützen. "Ich bin beschämt, wie viel Geld mein Roman eingebracht hat", sagt die Schriftstellerin, "es ist, als wäre jedes Gefühl im, Gott der kleinen Dinge' für eine Silbermünze gehandelt worden, als hätte ich mich selbst in eine silberne Figur mit einem kalten, silbernen Herzen verwandelt."

Ihr neuer Roman: Ein großes Geheimnis

Eingeklemmt zu sein in einem engen Kokon von Erfolg, Ruhm und Wohlstand ist für Arundhati Roy ein furchtbarer Albtraum. Aber sie will auch von den in Indien starken sozialen Bewegungen, für deren Anliegen sie sich einsetzt, nicht instrumentalisiert werden. "Es ist eine Art Tanz, bei dem ich versuche, meine Unabhängigkeit zu wahren und dennoch ihre politischen Anliegen zu verstehen und zu unterstützen."

2007 hat Arundhati Roy angekündigt, einen neuen Roman zu schreiben: "Manchmal muss man Romane schreiben, weil man gewisse Dinge nur in einer fiktiven Geschichte ausdrücken kann", meint Roy. Über den Inhalt ihres neuen Romans wahrt sie Stillschweigen. "Meine politischen Essays entstehen aus Diskussionen mit Menschen, sind eine Art Gemeinschaftsprodukt, aber Romane sind ein großes Geheimnis." Doch die politischen Ereignisse lassen ihr kaum Zeit dazu, an ihrem "großen Geheimnis" zu arbeiten. Die Wirklichkeit holt sie immer wieder ein: Außergerichtliche Hinrichtungen durch die Polizei, der wachsende Einfluss und die Gewalt der Hindunationalisten gegen Minderheiten in Indien sind die Themen, zu denen sie in ihren Essays Stellung bezieht.

Der terroristische Angriff auf Mumbai war Gegenstand ihres jüngsten Essays, den auch der britische Guardian unter dem Titel "The Monster in the Mirror - das Monster im Spiegel" abdruckte. Darin kritisierte die Autorin einerseits die Destruktivität des Terrors, wies aber auch auf drei unbewältigte Ereignisse in der aktuellen Geschichte Indiens hin, die junge Muslime regelrecht in die Arme von Terrororganisationen treiben: Die militärische Besatzung Kaschmirs, die Zerstörung der Babri Moschee 1992 und das ungesühnte Massaker von Gujarat im Jahre 2002, bei dem mehr als 1000 Muslime umkamen. Der in Indien übliche Vergleich des Angriffs auf Mumbai mit 9/11 in New York sei kein Zufall, "sondern bewusst gewählt", ist Roy überzeugt. "Man hoffte auf dieselbe internationale Unterstützung, die damals die USA erhielten, außerdem sollte dieser Angriff von jedem Kontext isoliert werden, so als hätte er sich in einem ahistorischen Vakuum zugetragen, als ginge es ganz einfach um den Kampf, Gut gegen Böse'.

Salman Rushdie, ebenfalls Träger des Booker-Literaturpreises, kritisierte ihren Essay. Sie wecke die Illusion, "der Terrorismus würde von der Welt verschwinden, wäre einmal die Ungerechtigkeit beseitigt", polemisierte er gegen Roy. Außerdem warf er ihr vor, die Opfer in den Luxushotels gering zu schätzen. Dabei hatte Roy nur die gegenüber vorherigen Anschlägen überproportionale Aufmerksamkeit der indischen und internationalen Medien kommentiert. Erstmals habe der Terror auch "vor den glitzernden Empfangshallen der Fünf-Sterne-Hotels nicht haltgemacht", so die Autorin im Gespräch mit der FURCHE: "Auf einmal bedeuteten die Toten etwas - normalerweise sind sie nur Ziffern."

Verhasst ist Arundhati Roy den Hindu-Nationalisten der Indischen Volkspartei BJP. Deren Spitzenkandidat Lal Krishna Advani forderte auf Wahlkampfveranstaltungen in den vergangenen Wochen sogar das Verbot eines ihrer Bücher. Im vergangenen Sommer hatte sich Arundhati Roy für ein Referendum über die Unabhängigkeit in Kaschmir ausgesprochen. Dort ist eine halbe Million indischer Soldaten und Paramilitärs stationiert, Gewalt gegen die Zivilbevölkerung ist an der Tagesordnung.

Beschämt über Indiens Politik in Kaschmir

"Ich schäme mich dafür, was dort auch in meinem Namen der Bevölkerung angetan wird", sagt Arundhati Roy. Sie war im August 2008 in Kaschmir, als die Bevölkerung in Kaschmir für ihre Unabhängigkeit demonstrierte. "Alle waren auf den Straßen, auch Kinder und Frauen, und riefen im Sprechchor, Azadi'". Der Begriff bedeutet Würde. Er ist der Ruf nach Unabhängigkeit in Kaschmir, nach Souveränität und Selbstbestimmung. "Ich fühlte, mein Schreiben bliebe lückenhaft, würde ich nicht meine Meinung dazu äußern." Als sie es tat, waren die Reaktionen heftig. "In sämtlichen Fernsehprogrammen hieß es, jetzt hätte ich die Grenze endgültig überschritten und alle Politiker - von BJP bis Kongress-Partei - forderten, mich ins Gefängnis zu stecken und den Schlüssel zur Zelle gleich wegzuwerfen, ich sei eine Verräterin." Für Roy ist das eine "ehrende Auszeichnung - es würde mich beunruhigen, wenn sie aufstehen und Beifall klatschen würden".

Obwohl es in Indien einige Menschenrechtler gibt, die wegen ihres Engagements unter Polizeischutz stehen, verzichtet Arundhati Roy auf Bodyguards. Der Zuneigung vieler Inderinnen und Inder fühlt sie sich sicher. "Wenn ich irgendwo hin komme und mich vorstelle, werde ich sofort willkommen geheißen und eingeladen." Schreiben ist für sie mehr als die Jagd nach Rezensionen, Auszeichnungen und Preisen. "Den Puls zu fühlen, den blanken Nerv, das ist für mich Schreiben. Das ist eine Art Kampf, und zwar ein sehr lebendiger."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung