Urkunden sprechen

Der rasche Wechsel der herrschenden politischen Systeme hat in den letzten Jahrzehnten eine Flut historischer Zweckliteratur hervorgebracht, deren Tendenz nicht selten leichter zu erkennen ist als Ihr relativer Wahrheitsgehalt. Historische Tatsachen (wie etwa die „Emser Depesche“, die „Hunnen-Rede“, der „Panther-Sprung“ oder die Ursache und Wirkung vertauschende „Dolchstoß-Legende“) haben auf diesem Wege, zu Symbolen verwandelt, in das Bewußtsein weiter Kreise Eingang gefunden. Dem historisch Interessierten will nun diese Auswahl geschichtlich bedeutungsvoller Dokumente die Möglichkeit bieten, die Spreu vom Weizen zu sondern und die Ereignisse aus ihren urkundlichen Grundlagen heraus zu erkennen. Darüber hinaus bedürfen der Politiker, der Publizist und der Lehrer eines Werkes, das ihnen die exakte Kenntnis eines für ihre Arbeit wichtigen Textes vermittelt. Die vielbändigen amtlichen Aktenpublikationen sind ihnen weder leicht zugänglich noch für sie erschwinglich.

Es ist also ein weit gezogener Kreis, an den sich diese gediegene Veröffentlichung wendet. Sie wird sich in sechs Bände gliedern, von denen vier (1, 2, 3 und 6) bereits vorliegen. Band 1 „Die Reichsgründung und das Zeitalter Bismarcks“ umfaßt die Zeit von 1848 bis 1890. Zur Erläuterung der politischen Ereignisse bis 1866 ist ihm der Wortlaut der Bundesakte des Deutschen Bundes von 1815 vorangestellt. Band 2 „Das Zeitalter Wilhelms II.“ umfaßt die Jahre 1890 bis 1918, Band 3 „Die Weimarer Republik“ 1919 bis 1933, Band 6 „Deutschland nach dem Zusammenbruch“ die Zeit ab 1945. Die Bände 4 und 5 werden die dazwischenliegende Zeitspanne von 1933 bis 1945 behandeln.

Die sowohl die Innen- wie die Außenpolitik erfassenden Dokumente bringen die Wiedergaben amtlicher Schriftstücke und Verträge, offizieller Ansprachen, Parteiprogramme, Manifeste und politische Reden. Innerhalb der chronologischen Reihe formt der Herausgeber durch die Aneinanderfügung von „Rede und Gegenrede“ kleine, die Zeitereignisse darstellende Gruppen. Aus dem Tagebuch des Kronprinzen Friedrich ist die gleiche Partie des Originales wie des Geffckenschen Auszuges wiedergegeben, bei der Behandlung des RückVersicherungsvertrages mit Rußland die Voten der von Kaiser Wilhelm II. befragten sechs Referenten. Alle Quellen sind mit Genauigkeit verzeichnet, was dem Leser das Nachschlagen des Originales ermöglicht. In manchen Fällen wurden die Originale durch Auslassung minder wichtiger Partien gekürzt. Die Aufnahme des deutschen Ansuchens an Papst Leo XIII. um dessen Schiedsspruch im Karolinen-Streit hätte das vom Kulturkampf vermittelte Bild abgerundet.

Da sie vielen zugänglich sind, werden diese Bände manchen Irrtum und manches Mißverständnis beseitigen helfen.