Thugendhat - © Foto: picturedesk.com / DPA / Fritz Fischer

Ernst Tugendhat: Nachdenken über Ethik

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Philosophieren nicht als Entfaltung eines selbstgerechten Moralsystems, sondern als aktives Sicheinmischen, engagiertes Verhalten: ein Porträt des Philosophen Ernst Tugendhat zum 90. Geburtstag.

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Philosophieren nicht als Entfaltung eines selbstgerechten Moralsystems, sondern als aktives Sicheinmischen, engagiertes Verhalten: ein Porträt des Philosophen Ernst Tugendhat zum 90. Geburtstag.

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Die Reflexion über ethische Grundsätze – nach dem Zusammenbruch der religiösen und ideologischen Begründungsinstanzen – steht im Mittelpunkt der philosophischen Arbeit von Ernst Tugendhat. Neben Jürgen Habermas gilt der streitbare Philosoph als einer der letzten Repräsentanten einer philosophischen Tradition, die im Aussterben begriffen ist. Tugendhat hat ein weites Feld der Philosophie bearbeitet. Er bewegte sich vorerst im philosophischen Umkreis von Husserl und Heidegger, um sich danach – als einer der ersten deutschen Philosophen – der analytischen Philosophie zuzuwenden. Danach befasste sich Tugendhat fast ausschließlich mit ethischen Problemen. „Nachdenken über Ethik“ bedeutet jedoch nicht die Entfaltung eines hybriden, selbstgerechten Moralsystems, das von einer weltfremden, abstrakten Instanz ausgeht; vielmehr versteht Tugendhat darunter ein aktives Sicheinmischen, ein engagiertes Verhalten – angesichts brennender gesellschaftlicher Konflikte wie Asylrecht, Integration von Ausländern oder Menschenrechte.

Flucht vor dem Nationalsozialismus

Schon früh entwickelte Ernst Tugendhat eine Sensibilität gegenüber Ungerechtigkeit, sozialen Missständen und politischer Willkür. Er wurde am 8. März 1930 als Sohn einer angesehenen jüdischen Familie in Brünn geboren. Die politische Willkür des nationalsozialistischen Regimes prägte seine Kindheit. Dank seiner höchst sensiblen Mutter ergriffen die Familienmitglieder die Flucht vor dem drohenden Terror und emigrierten 1938 zunächst in die Schweiz, 1941 nach Venezuela. Seine Mutter war es auch, die den Jugendlichen ermunterte, Heideggers epochales Werk „Sein und Zeit“ zu lesen. Diese Lektüre hinterließ einen tiefen Eindruck; „da war kein Halten mehr“, sagte er in einem Interview. Den Entschluss, Philosoph zu werden, nannte er „schlagartig“. Er veranlasste Tugendhat – nach einem Zwischenspiel an der Stanford­University – nach Freiburg aufzubrechen, wo er Vorlesungen von Heidegger hörte. Nach seiner Dissertation über Aris toteles arbeitete er als Assis tent in Tübingen, wo er seine Habilitationsschrift über den Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger verfasste. Es war dies – bekannte Tugendhat später – ein äußerst schwieriges Unternehmen, das ihn einige Lebensjahre gekostet habe. Immer stärker irritierte ihn Heideggers Hang zum dunklen, mystifizierenden Geraune. „Ein natürliches Bedürfnis nach Klarheit“ bewog ihn dazu, sich mit der analytischen Philosophie zu befassen. Die Gelegenheit, diese streng logische, von der Sprachanalyse ausgehende Denkströmung kennenzulernen, hatte sich während eines Gastaufenthaltes an der University of Michigan in Ann Arbor ergeben.

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