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Ethik für die Technik

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Frieden gründet auf Verantwortung. Uber das „Prinzip Verantwortung“ hat in jüngster Zeit niemand so intensiv nachgedacht wie der deutsch-amerikanische Philosoph Hans Jonas. Angesichts äußerster Gefährdungen der Menschheit unternimmt er das Wagnis äußerster Besinnung: Sein Ziel ist eine Ethik, der es nicht nur um das physische Uberleben, sondern um die Unversehrtheit des Menschen geht.

Mit Hans Jonas empfängt nach Ernst Bloch 1967 und Leszek Ko-lakowski 1977 wieder ein Philosoph diese alljährlich zur Frankfurter Buchmesse verliehene international hoch angesehene Auszeichnung.

Hans Jonas wurde am 10. Mai 1903 in Mönchengladbach geboren. Nach dem Studium der Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte promovierte er 1928 summa cum laude zum Doktor der Philosophie.

Der Name Hans Jonas war unter den Philosophen nie ganz in Vergessenheit geraten. Wer sich mit der Geschichte des Freiheitsbegriffs oder mit Augustinus beschäftigte, der kannte die von Heidegger und Bultmann inspirierte und hoch bewertete Marburger Dissertation von Hans Jonas.

In der Erkenntnis, daß nicht nur der weitere wissenschaftliche Weg, sondern auch Zukunft und Leben durch den deutschen Faschismus bedroht seien, emigrierte Hans Jonas 1933 nach England. 1935 übersiedelte er nach Palästina, wo er mehrere Jahre als Dozent an der Hebräischen Universität in Jerusalem lehrte. Von 1955 bis zu seiner Emeritierung wirkte er als Ordinarius für Philosophie an der New School for Social Research in New York.

Den ersten Band der groß angelegten Monographie „Gnosis und spätantiker Geist“ hat Rudolf Bultmann — sich öffentlich zur Person und zum Werk seines Schülers bekennend — 1934 herausgegeben.

Dieses Buch, dessen geplante Weiterführung der Faschismus zunächst verhinderte, stellt auf

Grund seiner gänzlich neuen Fragestellung und der dadurch gewonnenen tiefgründigen Einsicht einen Markstein und Wendepunkt in der Gnosis-Forschung dar. Hans Jonas hat die gnostische Daseinshaltung nicht nur meisterhaft dargestellt, er hat sie in späteren Arbeiten auch einer wohlbegründeten Kritik unterzogen.

Das beherrschende Anliegen von Hans Jonas liegt darin, den philosophischen Anthropozen-trismus zu überwinden und Welt und Natur ganz neu in den Blick zu fassen. Er hatte den Mut, in Abkehr von positivistischen Tendenzen der Philosophie des 20. Jahrhunderts, die metaphysisch-ontologische Frage wieder aufzunehmen. Im Zusammenhang mit der Herausarbeitung des Lebensund Organismusbegriffs gelang es ihm, elementare Phänomene wie Tod und Endlichkeit in gewöhnlicher Eindringlichkeit zu bedenken.

Die damit angedeuteten philosophischen Überlegungen finden ihre Zuspitzung in dem „Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation“. Erst in den siebziger Jahren drangen die Früchte dieser Arbeit zu uns. Die Grundintention, die diesem neuen Denken Hans Jonas zugrunde liegt, ist die Einsicht, daß die Selbstbehauptung der Menschlichkeit des Menschen nicht unabhängig davon ist, wie wir die Natur und insbesondere die organische Natur denken.

Daß der Mensch ein natürliches Wesen ist, daß er zum Reich der lebendigen Organismen und in die Geschichte ihrer Evolution gehört, diese Sicht bestimmt das heutige Bewußtsein. Diese Sicht bedroht aber gleichzeitig - nach Ansicht von Hans Jonas — das menschliche Selbstverständnis auf eine fundamentale Weise, weil sie mit einem Naturbegriff verbunden ist, der zuvor Natur auf Kategorien der Objektivität reduziert und aus ihr alle Züge der Menschenähnlichkeit entfernt hat.

Unter diesen Voraussetzungen heißt: den Menschen natürlich verstehen, ihn unmenschlich verstehen — beyond freedom and dignity. Diesem Trend unserer Zivilisation gegenüber bleibt eine „Ethik ohne Metaphysik“ ebenso ohnmächtig, wie eine konservative oder kritische Theorie der Gesellschaft.

Hans Jonas' Entwurf einer philosophischen Biologie ist deshalb so wichtig, weil sie erstmals seit langem lehrt, die Welt des Lebendigen so anzusehen, daß wir selbst der mörderischen Alternative enthoben werden, uns als schlechthin außerweltliche Wesen verstehen oder uns als Freiheitssubjekte aufgeben zu müssen.

Die neuen Beiträge von Hans Jonas zu einer Ethik der Verantwortung müssen auf dem Hintergrund dieser neuen Verhältnisbestimmung von Mensch und Natur gesehen werden. Nach dem Ende der Vorherrschaft des Existentialismus und der darauf folgenden kritischen Gesellschaftstheorie, nach dem Ende des Wirtschaftswunders und des dazugehörigen Luxus des emanzipatorischen Modernismus, scheint nun — wie der Münchner Philosoph Robert Spaemann jüngst bemerkte — nicht einfach eine neue modische Tendenz zu beginnen, sondern die allmähliche Entdeckung, daß es fundamentale Strukturen der Wirklichkeit gibt, die zu vergessen sich keine Epoche leisten kann. Von ihnen ist bei Hans Jonas die Rede.

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