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Gegen blinden Fortschrittsglauben
Die von der Technik entzauberte Welt - dies war das nach vielen Seiten gewendete Thema des Philosophen und Religionswissenschafters Hans Jonas, der am vergangenen Freitag im Alter von 89 Jahren in New York gestorben ist. Neben Hans-Georg Gadamer und wohl auch Erwin Chargaff zählte Hans Jonas zu jenen Denkern, denen aus dem Grundbestand des Seins, aus dem „Ist”, noch lange nicht die Beliebigkeit des Handelns als ein So oder Anders entspringt, sondern ein „Soll” folgen muß. Wo aber bleibt da die Freiheit des Menschen, des Wissenschafters und Forschers allzumal?
Das „Soll”, diese Welt der Verpflichtung, hat ihren Ursprung, sagte uns Hans Jonas in einem Gespräch in München, „im Reiche der Subjektivität”; ihr Ursprung entzieht sich der streng wissenschaftlichen Beschreibung der Welt.
Und genau an diesem Punkt setzte Hans Jonas mit seiner Wissenschaftskritik an. Im Gegensatz zu dem Biochemiker Erwin Chargaff, der sich immer mehr aufs Philosophieren und vor allem Moralisieren eingelassen hat und zu einem guten Teil seine eigene wissenschaftliche Arbeit desavouierte, hebt Jonas darauf ab, daß die Grenzen zwischen Versuch und Ernst im Vollzug der Forschung selbst verwischt sind. Die Anwendung der Forschung finde bereits in der Untersuchung selber statt, sei ein Teil von ihr. Und daraus folge, daß die Freiheit der Forschung nicht unbedingt sein könne. Zum 125-Jah-re-Jubiläum bei Hoechst machte Hans Jonas dies drastisch klar.
Die Eingriffe in das Leben, Veränderungen an der Keimbahn, Experimente mit Ungeborenen - dies bereitete dem Philosophen höchste Sorge. Die Dimensionen metaphysisch-sittlicher Verantwortung vorzuführen, wurde er nicht müde. Beim zehnten, von Oskar Schatz im SalzburgerORF veranstalteten Humanismusgespräch 1989 - Thema: „Brauchen wir eine andere Wissenschaft?” - sagte er klipp und klar, es handle sich dabei „um etwas Ungreifbares von transzendentem Rang - und es sei darum schwer zu verteidigen gegen das Abenteurertum des emanzipierten Geistes”.
Es gelte, „Gegenkräfte zu mobiliseren gegen die betörende Versuchung .schöpferischen' Experimentierens mit dem eigenen Ebenbild”.
Man sollte, wenn man dies liest, nicht vergessen, daß der aus Mönchengladbach gebürtige Hans Jonas von der Religionswissenschaft herkommt, daß er bei Martin Heidegger und Rudolf Bultmann über die Gnosis promoviert hat, und daß der Gnosis sein religionswissenschaftliches Hauptwerk mit dem Titel „Gnosis und spätantiker Geist” galt.
Weit davon entfernt, Wissenschaft und Forschung den Abschied geben zu wollen, mahnte Jonas immer wieder ein, sich von blindem Fortschrittsglauben loszusagen. Er bot Hilfestellung, schrieb „Das Prinzip Verantwortung” als den Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation.
Er hatte nichts mit spätnietz-scheanischem Nihilismus zu tun, er suchte die Bestimmung des Menschen in der geschichtlichen Selbsterhellung, in der philosophischen Anthropologie und in der metaphysischen Meditation zu beschreiben.
Auch wenn Hans Jonas einmal feststellte, daß der Mensch von heute dem Gedanken der Unsterblichkeit nicht geneigt sei, so schimmern unter seinen Büchern und Aufsätzen jene Sterne der Transzendenz durch, die die abendländische, jüdisch-christliche Tradition ausmachen. Von sich selbst sagte er vor einiger Zeit: „Ich habe mein Wort, so weit es mir möglich war, gesagt.”
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