Produktive Feindschaften

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Am 27. Juni beginnt das Festival der Regionen in Oberösterreich. Beiträge zu einer Kultur der Feindschaft.

Auf das Ende der Gemütlichkeit folgt die "Kunst der Feindschaft". Unter diesem Titel findet von 27. Juni bis 5. Juli das Festival der Regionen statt. Das größte dezentrale und landesweite Zeitkulturfestival Oberösterreichs mit dem Grundsatz der Förderung von neuen künstlerischen Ausdrucksformen und noch nicht etablierten Künstlern wird seit 1993 im Zwei-Jahres-Rhythmus ausgetragen und bespielt die ländlichen Regionen ebenso wie die Ballungsräume. Die Produktionen beschäftigen sich stets mit einem "gesellschaftspolitisch wichtigen Thema" - dieses Jahr "Die Kunst der Feindschaft". Auf den ersten Blick mag der Titel verwundern, da sich in krisengeschüttelten und streikgebeutelten Zeiten wie diesen wohl eher der Friede als Thema aufdrängt. Bei genauerer Betrachtung ist jedoch das eine eng mit dem anderen verbunden.

Hinter der "Kunst der Feindschaft" steht die Idee, dass es Feindschaften geben wird, so lange es Menschen gibt. Daher stellt sich die Frage, wie sich am besten mit ihnen leben lässt, wie sich Feindschaften kultivieren lassen, wenn ein Leben ohne Feindschaften nicht möglich scheint und immer wieder neue Feindbilder konstruiert werden. So sorgte etwa der Fall des Eisernen Vorhangs und damit die Beendigung des Ost-West-Konflikts für eine erhebliche Irritation von Denkmustern. "Plötzlich ist uns im Westen das konkurrierende Gegenüber abhanden gekommen, so haben wir verzweifelt nach neuen Feindbildern gesucht, und da ist auf einmal der Fundamentalismus ins Visier geraten", erklärt Festivalleiter Ferry Öllinger.

Im Sinne der "Kunst der Feindschaft" sollten die zwischenmenschlichen Konflikte unblutig ausgetragen werden. Denn wo es um die Vernichtung des Anderen geht, wo dem Gegenüber die Menschlichkeit abgesprochen wird, werden Feindschaften barbarisch.

Destruktiv und produktiv

Feindschaften sind also gleichermaßen ein destruktiver wie auch ein produktiver Faktor. Feindschaft macht erfinderisch. "Aus Feindschaften und erbitterter Konkurrenz sind zahlreiche Höchstleistungen auf den verschiedensten Gebieten entstanden. Die Entwicklung des strategischen Denkens oder der Rhetorik beispielsweise verdanken wir sicher nicht nur freundlichen Intentionen", erläutert Öllinger. Auch Wettbewerbsstrategien oder sportliche Höchstleistungen entspringen letztlich aus dem Konkurrenzkampf.

Der Alltag bietet eine Fülle von Beispielen, wie motivierend Feindschaften wirken können. "In Linz gab es lange die Rivalität zwischen den beiden Fußballmannschaften Lask und Voest. Sie waren einerseits Gegner, aber sie haben einander auch gebraucht. Und seit es die Voest nicht mehr gibt, fehlt der Partner", ergänzt Pressesprecher Florian Sedmak.

Wie nun die Feindschaft in der Kunst ausgetragen wird, das zeigt jedes der aus insgesamt 204 Einreichungen ausgewählten 20 Festivalprojekte auf seine Art und Weise. Die Konstruktion von Feindbildern aber auch die Strategien zu ihrer Überwindung werden dabei thematisiert. Einige Projekte befassen sich auch mit Geschichte und Geschehen in den Gemeinden, andere rekrutieren Mitwirkende vor Ort.

Die Projekte finden entlang des "Speckgürtels und Wirtschafts-/ Industriegürtels" von Linz, entlang der B1 von Vöcklabruck bis Linz statt - und sie wurden zeitlich so aufeinander abgestimmt, dass sie sich nicht überschneiden und Interessierte theoretisch alle Arbeiten sehen können.

Ein Budget von rund einer Million Euro stand dafür zur Verfügung, wobei das Land Oberösterreich als Hauptgeldgeber fungiert. Beträchtlich ist der Eigenfinanzierungsgrad: Fünf Millionen Schilling wurden an Eigenleistungen erbracht, der Vorstand arbeitet ehrenamtlich.

Regionalgeschichte

Seinen Auftakt erlebt das Festival der Regionen am Freitag, 27. Juni, um 19 Uhr im alten Kohlebrecher in der Kohlgrube bei Wolfsegg. Eine Lichtinstallation verwandelt das Betonskelett - viel umstrittener Schandfleck - in einen neuen Raumkörper, der gleichzeitig Bühne und Kulisse des Festes ist. Dass das ehemals imposante Industriedenkmal und heute schmerzliche Zeitzeugnis der Bergbauära im Hausruckviertel nicht dem Abriss anheim fiel, sondern als Festivalbühne zur Verfügung steht, ist den Brüdern Peter und Wolfgang Weinhäupl zu verdanken. Sie erwarben den Kohlebrecher aus der Konkursmasse und renovierten ihn. Mit ihrem Projekt "StrukTour", ein Rundweg über das Gelände, erinnern sie an die Bergbau-Vergangenheit der gesamten Region und legen mit Installationen, historischen Film- und Fotoaufnahmen sowie in Interviews mit ehemaligen Bergleuten ein Stück Regionalgeschichte frei. Auch in Hinkunft soll der alte Kohlebrecher als Veranstaltungsort zur Verfügung stehen und bei der Landesausstellung 2006 eine Rolle spielen.

Rund um die Eröffnung schlagen auch zwei Karawanen ihr Lager in Kohlgrube auf, zum einen die Karawane des Vereins ohne Namen mit ihren Kamelen, die von dort aus zu ihrer einwöchigen Wanderung durch Oberösterreich aufbricht und Interessierte zum Mitziehen einlädt, zum anderen die im Doppeldecker reisende VolxTheater-Karawane, die durch die Verhaftung einiger Mitglieder im Rahmen des G8-Gipfels in Genua für Schlagzeilen sorgte. Mit der VolxTheater-Karawane präsentiert sich ein Feindbild der Öffentlichkeit.

Mit religiösen Konflikten setzt sich der Beitrag des Kunstreferats der Diözese Linz auseinander. Christliche und islamische Gotteshäuser öffnen dabei ihre Pforten und laden in fünf oberösterreichischen Städten zum gegenseitigen Kennenlernen ein: Im Rahmen des Freitaggebets trägt ein Christ aus dem Koran vor, während eines christlichen Wortgottesdienstes am Samstagabend liest ein Muslim das Evangelium.

Wahlkampfparodien

Eine Parodie auf den bevorstehenden Wahlkampf ist Werner Puntigams Projekt "Engstirnigkeiten". Noch ehe der Kampf um die oberösterreichischen Landtags- und die Linzer Gemeinderatswahlen im Herbst begonnen hat, borgt sich Puntigam Dutzende Dreieckständer aus, mit denen er Zonen der Linzer Innenstadt im wahrsten Sinn des Wortes voll stopft. In der Verdichtung der Wahlwerbung über das erträgliche Maß hinaus wird die bis in die Feindschaft reichende Rivalität der Parteien sichtbar.

Begleitend zu den Projekten wird die Filmreihe "Die Kunst der Feindschaft" im Linzer Moviemento, in den Lichtspielen Lenzing sowie im Programmkino Wels gezeigt. Im Äther pflegt das freie Radio FRO die Kunst der Feindschaft.

Dass sich das Festival der Regionen in den zehn Jahren seines Bestehens als Fixstern am oberösterreichischen Kulturhimmel etabliert hat, zeigen nicht nur die zahlreichen Besucher und die vielen Projekt-Einreichungen, sondern auch Anfragen aus Deutschland sowie aus Graz und Salzburg, die über ein ähnliches Festival dieser Art nachdenken.

Weitere Informationen unter: www.fdr.at

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