Verschmelzung von Realität und Traumwelt

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Der neuen Intendanz des Tiroler Landestheaters ist nach der Einstandspremiere der "La Wally“ nun mit Erich Wolfgang Korngolds "Toter Stadt“ erneut ein großer Wurf - szenisch wie musikalisch - gelungen.

Johannes Reitmeier, seit dieser Spielzeit amtierender Intendant des Tiroler Landestheaters, schätzt im Musiktheater Werke abseits des Mainstreams und will in Innsbruck noch nie gezeigte Stücke auf den Spielplan setzen. Dabei zeigt sich seine Jahrhundertwende-Vorliebe. Mit seiner Eröffnungsinszenierung, Catalanis "La Wally“ von 1892, traf Reitmeier ins Schwarze, die Oper läuft mit Sonderterminen und wurde soeben von dem renommierten Label Capriccio für die erste "Wally“-Produktion auf DVD aufgezeichnet. Eine Auszeichnung und ein Trendhinweis, der freilich in Deutschland deutlicher abzulesen ist als in Österreich: Mittelgroße Bühnen treten qualitativ durchaus erfolgreich in Konkurrenz zu großen Häusern. In Innsbruck hatte es in den letzten Jahren Brigitte Fassbaender deutlich erfahren - bis hin zur Doppelnominierung des Tiroler Landestheaters als Theater bzw. Opernhaus des Jahres durch die Zeitschrift Opernwelt.

Keine Scheu vor Kooperationen

Nun hatte in Innsbruck Erich Wolfgang Korngolds Oper "Die tote Stadt“ Premiere, ein Welterfolg der 1920er Jahre, der in den letzten Jahrzehnten eine Renaissance erfuhr. Nach "La Wally“ und einem verklamaukten Rossini-"Barbier“ wieder ein anspruchsvolles Werk und ein großer Wurf - der eine weitere konzeptionelle Überlegung der Intendanz trägt: Reitmeier spricht sich zwar für die Notwendigkeit neuer Stücke aus, aber auch für die Aufnahme von bereits Gelungenem, ob es sich um ein Werk handelt oder um eine Produktion, wie in diesem Fall: Inszenierung und Ausstattung wurden vom Theater Regensburg übernommen.

Paul lebt in seiner "Kirche des Gewesenen“ einen nekrophilen Kult um seine verstorbene Frau Marie. Als er die Marie äußerlich ähnliche Tänzerin Marietta trifft, wird sie ihm zum Trugbild. In einem Traum brechen seine durch den ehelichen Treueschwur und religiöse Fixierung gebundenen sexuellen Fantasien auf. Als Marietta seine Marie-Fetische "entweiht“, wird sie von Paul mit dem Haar der Toten erwürgt. Aus dem Traum zurückgekehrt, will Paul das leblose Brügge - "die tote Frau und die tote Stadt flossen zu geheimnisvollem Gleichnis“ - verlassen.

Regisseur Ernö Weil glaubt nicht an das heilende Erwachen in die Realität, das auch seinem über das Libretto von Vater und Sohn Korngold hinausreichende Eintauchen in die symbolistische Welt der literarischen Vorlage, Georges Rodenbachs "Bruges La Morte“, widerspräche. In Karin Fritz’ sich fabelhaft auf Zwischenwelten und Traumszenarien verstehender Bühnengestaltung setzt er Paul mit wachsender Intensität der Wort-Musik-Verschmelzung, Phänomenen von Schönheit und Bedrohung und einer die spirituelle Gebundenheit und den Totenkult sprengenden sexuellen Obsession aus. Der bei Rodenbach, jedoch nicht mehr im Libretto, wirksame "Dämon der Analogie“ wird in Marietta ebenso kenntlich wie Succubus, der erotische Dämon, der im Schlaf erscheint.

Magisch-sinnlicher Klangrausch

Weil greift die Elemente von tragischer Operette, Traumspiel, Filmmelodram und Psychodrama auf, lässt im nebeligen Straßenbild verzerrt geschminkte Nonnen vorbeiziehen und Mariettas Komödianten leichtfüßig mit silbernen Bällen spielen. Die Prozession überblendet filmisch alles Geschehen. Alexander Rumpf und das Tiroler Symphonieorchester bewältigen mit Hingabe die Klippen des überinstrumentierten Orchesterparts, der mit Reizdissonanzen spielt, aber nie den gesicherten tonalen Raum verlässt. Rumpf gelingen in Korngolds Klangrausch magische, sinnliche Momente und die Charakterisierung von Realität und Traum.

Außerordentlich der Paul von Wolfgang Schwaninger, der seinem ältlichen, verklemmten Paul im Traum zunehmend tenorale Strahlkraft verleiht. Mit leuchtenden Tönen, dramatischem Ansatz und enormem Durchhaltevermögen durchlebt Susanna von der Burg die Rolle der Marietta und die zarte Erscheinung Maries.

Weitere Termine

14., 17., 24. Februar, 1., 6. März

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