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MARTIN LUTHER KING / PREDIGER UND ANFÜHRER

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Amerikas Negerextremisten haben einander den Kampf bis aufs Messer angesagt: Die Ermordung des Führers der Organisation für Afro-Amerikanische Zusammenarbeit, Malcolm X, war nur der letzte blutige Punkt einer Auseinandersetzung zwischen den rivalisierenden Gruppen der extremistischen amerikanischen Negerbewegung. Bemerkenswerterweise fällt diese Krise mit einer ähnlichen Krise unter den gemäßigten Negerorganisationen zusammen, die nach dem Inkrafttreten der Civil Right's Act ihre neue Rolle noch nicht gefunden haben, sie aber verzweifelt suchen.

Die Kampagne des Friedensnobelpreisträgers Martin Luther King zur Sicherung des Wahlrechtes im „Black Belt“ von Alabama verdient wohl allen Respekt, ist aber doch wohl mehr eine Verlegenheitslösung. Aus der europäischen Perspektive freilich lassen sich solche Urteile leichter abgeben als aus dem unmittelbaren Erleben. Immerhin läßt sich heute schon feststellen, daß sich die Negerfrage zusehends von den Südstaaten in die Slumgettos der großen Industriemetropolen verlagert.

Martin Luther Kings Position ist nun heikel geworden, heikler denn je. Hat er — zusammen mit anderen intellektuellen Negerführern — den amerikanischen Negern neue, konzentrierte Schlagkraft verliehen, so liegt es jetzt an ihm, das Abgleiten der farbigen Amerikaner in einen finsteren Extremismus zu verhindern, der letzten Endes sogar imstande wäre, die Grundfesten der Demokratie in den Vereinigten Staaten zu erschüttern.

Martin Luther King, heute 37 Jahre alt, Sohn eines Pastors und einer Lehrerin, ist steh dieser Verantwortung, die jetzt mehr oder weniger ausschließlich auf seinen Schultern lastet, voll bewußt. Der Negerstudent aus dem Süden studierte am theologischen Seminar von Pennsylvanien, dissertierte über den „Gottesbegriff in den Gedanken von Paul Tillich und Henry Nelson Wieman“, heiratete unmittelbar nach der Promotion eine Sängerin des Kirchenchores und wurde Pfarrer in einer kleinen Gemeinde in Alabama. Wer weiß, vielleicht wäre er noch heute Hirt seiner Gemeinde, wenn nicht aus zunächst nichtigem Anlaß der große Boykott der Autobuslinien von Alabama Martin Luther King an die Spitze seiner Rassegenossen gestellt hätte. Er führte den Feldzug seiner Brüder mit der Demut des Christen, der Tüchtigkeit des Amerikaners, der Leidenschaft des Negers und der Ausgeglichenheit des Philosophen.

Der Sieg der Neger von Alabama brachte den Landpfarrer bald an die Spitze der amerikanischen Negerbewegung. Gewalt-losigkeit: das war die Parole, die King immer und immer wieder seinen Brüdern einschärfte. Bis sich dann eines Tages die „Schwarzen Moslems“ konstituierten, eine kleine Gruppe von Negern, demonstrativ zum Islam übergetreten, die gesonnen waren, Gewalt mit Gewalt heimzuzahlen. Noch immer war es die Persönlichkeit des Pastors aus Alabama, die die extremistische Gruppe auf einige Hitzköpfe beschränkte.

Sein unermüdliches Wirken wurde im Oktober 1964 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, den er als dritter Neger — nach Dr. Ralph Bunche und Albert Luthuli — erhalten hat.

Sind sich Amerikas Neger über den weiteren Weg zur Gleichberechtigung uneins? Martin Luther King wäre der einzige, der seine Brüder vor einem Weg in gefährliche Sackgassen bewahren könnte.

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