Nur nicht die UdSSR provozieren

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Als am 21. August 1968 die Truppen der Sowjetunion, Polens, Ungarns, Bulgariens und der DDR den Prager Frühling in den kommunistischen Winter zurück stoßen, befindet sich die Republik Österreich vom Bundespräsidenten Franz Jonas abwärts im Sommerurlaub. Und nach einer ersten Lageeinschätzung fasste man laut Innenminister Franz Soronics den Beschluss, den Großteil der Regierung in den Urlaub zu schicken.

Der Nachbar wird von fast allen Ostblockmächten überfallen und das offizielle Österreich macht Ferien? Das stimmt so nicht ganz, zutreffend ist aber, dass man in Wien alles vermeiden wollte, um die UdSSR "unnötig zu provozieren": Die offiziellen Erklärungen von Bundeskanzler Josef Klaus wurden abgeschwächt; das Bundesheer kam erst acht Stunden zeitverzögert aus den Kasernen und hat sich in einem "Sicherheitsabstand" zur Grenze positioniert, und dem österreichischen Konsulat in Prag wurde die Visa-Ausstellung an tschechoslowakische Staatsbürger untersagt - der Gesandte in Prag, Rudolf Kirchschläger, hielt sich aber nicht an diese Weisung.

In der Regierungsriege war es vor allem Außenminister Kurt Waldheim, der "hier wirklich beschwichtigend vorging" (Soronics). Waldheim: "Wir gingen davon aus, dass die Sowjets nicht die Absicht hatten, nach Österreich einzumarschieren, deswegen auch die Zurückhaltung in der Frage des Truppeneinsatzes im Grenzbereich und der Generalmobilmachung des Militärs. Wir waren zurückhaltender, denn wir wollten alles vermeiden, was zu einer Situation geführt hätte, die tatsächlich eine militärische Aktion erforderlich machte." Waldheim war überzeugt, dass die Sowjets mit der Tschechoslowakei genug Schwierigkeiten hatten, und diese mit dem Einmarsch in das neutrale Österreich nicht noch vergrößern wollten.

Tito-Schelte für Waldheim

Der jugoslawische Staatschef Josip Brozr Tito sah das anders und kritisierte Waldheim bei einem späteren Staatsbesuch dafür, dass Österreich bei der Tschechenkrise zu wenige militärische Vorkehrungen getroffen hatte. Auch SP-Oppositionschef Bruno Kreisky urlaubte in diesen Tagen auf der jugoslawischen Insel Rab. Er charterte einen Hobbypiloten und flog in einer halsbrecherischen Aktion nach Wien. Seine Unterredung mit Bundeskanzler Josef Klaus verlief unzufriedenstellend. Kreisky: "Es war ein sinnloses Gespräch. Klaus fehlte jeglicher Sinn für den Geist des Widerstandes, den ich vertrat." Kreisky schimpfte die Regierung: "Wieder sind die Appeaser am Werk, die zu jedem Kompromiss bereit sind, nur um das Ärgste zu verhindern, und die so das Ärgste nur beschleunigen." Für Klaus war das "die wohl größte Enttäuschung meiner Regierungszeit". 30 Jahre nach 1938 wiegte der Appeaser-Vorwurf noch sehr schwer. WM

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