Zu viele Fehlentscheidungen im Wiener Wald

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Herbert Föttinger inszeniert an der Josefstadt "Geschichten aus dem Wiener Wald“. Manches ist etwas zu explizit geraten. Der wahre Charakter des Stücks kommt nicht zum Ausdruck.

"Dem Besteiger bietet sich eine instruktive Rundschau“, lässt Ödön von Horváth Alfreds Mutter sagen, als sie den Besuch aus Wien auf den Turm führt.

Der Satz lässt sich in seiner Mehrdeutigkeit auch auf Herbert Föttingers Inszenierung von "Geschichten aus dem Wiener Wald“ im Theater in der Josefstadt anwenden. Schließlich ist hier mehr als notwendig sexuell konnotiert und dementsprechend viel nackte Frauenhaut zu sehen - sofern nicht gerade einer der kahlen Bäume den Blick auf Mariannes Scham verstellt.

Rolf Langenfass hat eine schlichte Bühne eingerichtet. Da ist eine Vielzahl an metallen wirkenden Stehern, die - wohl als "Bäume des Wiener Walds“ in der Ausgangsbasis - den jeweiligen Spielort unterstützen. Schriftbänder verorten die Szenen zusätzlich konkret: Einmal ist man in der "stillen Straße im achten Bezirk“, vermutlich in der Lange Gasse, also ums Eck sozusagen, dann in der Wachau oder in den Donauauen, wo die kahlen Stämme zugleich als Dusche dienen, welche Marianne nach dem Bad in der Donau nimmt. Alfred kann dem verführerischen Anblick freilich nicht widerstehen und so kommt es, wie es eben kommen muss.

Mangold lässt Abgründe erahnen

Dass Marianne dem Vater und den Verlobungsgästen ihre Liebe zu Alfred splitterfasernackt entgegen schleudert, mag eindrucksvoll wirken, geht nur an der Persönlichkeitsstruktur dieser als schüchtern gestalteten Figur komplett vorbei. Sandra Cervik ist dafür als Trafikantin Valerie unterwäschemäßig regelrecht aufmunitioniert, was Erwin Steinhauer als Zauberkönig gewaltig ins Schwitzen bringt. Dabei geht es bei Horváth um die Kälte, die Sprachlosig- und Hartherzigkeit dieser Leute, die nur eines im Sinne haben: den eigenen Vorteil. "Denk doch nicht immer nur an Dich!“ brüllt ihm die am Ende zerbrochene Tochter Marianne entgegen, als sie noch nicht ahnt, dass ihre Not weiter zu übertreffen ist.

Die von Horváth viel zitierten Abgründe tun sich in dieser Inszenierung nur dann auf, wenn Erni Mangold als Großmutter die Bühne betritt. Skrupellos agiert diese verhärmte Alte, die - neidisch auf das Leben der anderen und die Schönheit der hübschen Marianne - sich nicht nur das tote Kind auf die Rechnung schreiben kann. Allein Erni Mangolds Darstellung offenbart die Härte hinter der Tarnung von bedürftiger Gebrechlichkeit mitten in der paradiesischen Landschaft in der Wachau.

Die Interpretation Föttingers kippt schnell ins Volksstückartige, einmal klingen Nestroy-Töne an, dann wieder glaubt man sich in einem Molnár, und bisweilen vermeint man sich aufgrund des distanzierten Spielstils sogar in einem Brecht-Stück. Föttinger inszeniert nämlich genau an jenem stilisierten Jargon vorbei, welchen Horváth in seiner (im Programm abgedruckten) "Gebrauchsanweisung“ einfordert.

Steinhauer etwa wechselt inkonsequent zwischen Hochdeutsch und Dialekt (eine der "Todsünden der Regie“, so Horváth), Florian Teichtmeister spricht als Alfred wie ein Meidlinger Strizzi, und die junge Alma Hasun legt das gezierte Bühnenhochdeutsch der Schauspielschul-Absolventin vor. Als Marianne ist sie heillos überfordert. Wo war hier bloß die ordnende Hand der Regie?

Eine unentschiedene Inszenierung

Föttinger zeigt in dieser indifferenten Arbeit deutliche Führungsschwäche, gibt aber selbst einen Kurzauftritt als Direktor des Etablissements Maxim. Die entsetzliche Überraschung - Mariannes Auftritt als Nackttänzerin - ist in dieser Inszenierung allerdings nicht zu sehen, wohltuend und geschickt wird dieser Anblick der Vorstellungskraft des Publikums überlassen. Die Szene im Maxim gehört Sandra Cervik, der als Valerie ihr Plädoyer für mehr Solidarität gelingt. Als Fleischhauer Oskar ist Thomas Mraz erstmals am Theater in der Josefstadt zu sehen. Er gibt den sadistischen Oskar als Riesenbaby, der seinem Schwiegervater in spe wie ein Zwilling gleicht.

An Brisanz haben Horváths Sätze bis heute nichts verloren. Etwa wenn der Hierlinger Ferdinand (Alexander Strobele) damit protzt, dass er sich mit der Arbeit der anderen saniert, oder der Jusstudent Erich (Rasmus Borkowski) nationalistische Sprüche klopft. Doch von jenem Unheimlichen, Gespenstischen, dem Grauen und der Grausamkeit, die das Stück eigentlich ausmachen, ist in dieser harmlosen, unentschiedenen Inszenierung nichts zu spüren.

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