Hoeneß, Schwarzer & die Schweizer

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Eigentlich ist es stets die gleiche Geschichte, Jahr für Jahr: Immer am letzten Drücker sitze ich tief nachts über meiner Steuerabrechnung, kopiere - mit einem Gefühl von Verzweiflung - irgendwelche Rechnungen, addiere Zahlen und frage mich, welches Heer armer Beamter sich durch all die bleich gewordenen Kassenbelege hindurcharbeiten muss.

In diesem Jahr aber war meine Stimmungslage etwas anders. Noch stärker als früher war da ein Gefühl der Verpflichtung, unserem Fiskus nur ja nichts vorzuenthalten, was ihm gebührt - und ihm nichts unterzujubeln, was meine Steuermoral belasten könnte. Anlässe dafür, genauer hinzuschauen, gab es zuletzt genug: das Urteil gegen Fußball-Manager Uli Hoeneß. Die Selbstanzeige von Alice Schwarzer, der Frontfrau des Feminismus. Auch die Steuersünden des langjährigen Zeit-Herausgebers Theo Sommer. Und zuletzt das spontane Schuldbewusstsein des eben verjagten Burgtheaterchefs Matthias Hartmann.

Zugegeben, sie alle haben steuermäßig in einer anderen Liga gespielt. Aber ist nicht die Ehrlichkeit nur bedingt eine Frage der Steuerhöhe, wohl aber eine der Grundhaltung: Bürger, wie hältst Du es mit Deiner Beziehung zu Staat und Gesellschaft?

Volkswirtschaftsprofis haben -ich weiß nicht, wie das geht - eine Summe von mindestens sechs Milliarden Euro errechnet, die unserer Republik Jahr für Jahr durch Pfuschertum, Sozialbetrug und allzu viel Eigenliebe beim Ausfüllen der Steuererklärung entgeht.

Dass zuletzt so viel Aufhebens um die ertappten Promis gemacht wurde, hat viele Ursachen: zunächst die "ganz normale" Scheinheiligkeit - wer auf andere zeigen kann, fühlt sich selbst entlastet. Dann die enorme Medien-Attraktivität jedes "gefallenen", sündigen Stars. Und auch ein gutes Stück Freude, dass "die da oben" endlich ähnlich genau durchleuchtet werden wie der kleine Bürger.

Gefährdete Vertrauensbasis

Mich aber fasziniert in diesem Zusammenhang noch anderes: Tübinger Wissenschafter haben nachgewiesen, dass die Steuermoral einen unmittelbaren Bezug zum Staatsbewusstsein hat. Wo Politikverdrossenheit um sich greift, da schwindet die Mitverantwortung. Wo sich der Bürger im politischen System machtlos fühlt, sinkt seine Steuermoral. Wo viel von staatsnaher Zockerei die Rede ist, steigt die Verlockung, es auch selbst "lockerer" zu nehmen.

Noch eine Erkenntnis: Je dezentraler, überschaubarer, der Staat strukturiert ist, desto mehr werden auch seine Steuernormen akzeptiert.

Was in der konkreten Praxis heißt: Die bravsten Europäer wohnen, sagt die Wissenschaft, jenseits unserer Grenzen in der Schweiz. Weil dort der Staat ganz föderal - und das Kleinräumige sehr stark ist. Weil dort der Bürger um seine Mitwirkungsrechte weiß - egal, ob er sie nützt oder nicht.

Wieder ein Anlass, um sich über die Vertrauensbasis von Bürger und Staat in unserer Republik ernsthaft Gedanken zu machen.

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