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Knallfrösche vor Gibraltar

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Spanien ist beleidigt und verärgert. Großbritannien hat sich, statt auf den spanischen Vorschlag der Entkolonialisierungsgespräche über Gibraltar, die Ende Jänner in Madrid fortgesetzt werden sollten, einzugehen, eine von Spanien völlig unerwartete Antwort einfallen lassen, die offensichtlich den vollsten Beifall der Vereinigten Staaten findet: Die kleine Mittelmeerflotte des Vereinigten Königreiches, die nur aus fünf Minensuchbooten besteht, paradiert derzeit, sekundiert von achtzehn Schiffen der VI. Amerikanischen Flotte, Spanien vor der Nase herum. Im Hafen von Gibraltar veranstalten sie — so empfindet es Madrid — den reinsten kolojjialisti- schen Kraftakt.

Der sonst so ruhige monarchistische Madrider „ABC”, Spaniens größte Tageszeitung, zürnt darüber jedoch mehr dem amerikanischen Bündnispartner als Großbritannien, von dem Madrid im Gibraltar-Konflikt und allem, was damit zusammenhängt, ohnehin keine Freundlichkeiten erwartet. Sie bezeichnet das amerikanische Flottenflanieren als einen „diplomatischen Knallfrosch des Landes der Mondraketen und der antikolonialistischen Artillerie”, mit der es ihm gelungen sei, die Europäer zu verdrängen und die ehemaligen Kolonialgebiete wirtschaftlich zu besetzen und, wenn es den USA passe, sie zu Handlangern ihrer Außenpolitik zu machen. Amerikas Antikolonialismus sei also eine der bestbezahlten Donquichotterien der Weltgeschichte.

Eine Wirtschaftsspritze

Warum dieser Wutausbruch, der wohlweislich nicht nur die Meinung der Zeitung widerspiegelt? Nun, die USA haben nicht nur — von Spanien aus gesehen — als Bündnispartner in den UNO-Debatten über Gibraltar versagt, sondern sie sind jetzt dabei, die schwache Wirtschaft der britischen Kronkolonie kräftig zu unterstützen. Denn die Besatzung der VI. US-Flotte ist — wie alle Matrosen der Welt — bei ihren Landbesuchen großzügig im Geldausgeben, die Werftanlagen Gibraltars könnten durch die amerikanischen Kriegsschiffe wieder zu den notwendigen Aufträgen kommen und, was weitaus schwerwiegender für Madrid ist, die Gegenwart der VI. Flotte beweist, daß der Polaris- Stützpunkt Rota bei Cadiz vom Pentagon als überflüssig betrachtet werden könnte. Dieser Eindruck wird durch die an der Madrider amerikanischen Botschaft gefallene Bemerkung verstärkt, derzufolge die USA bereit sind, Rota zu räumen. Und dies würde neben einem wirtschaftlichen auch einen strategischen Verlust für Spanien bedeuten zAngelsachsen in Kiellinie.

Als ob dieser Hiobsbotschaft für Spanien nicht genug wären, kam aus London die Kunde, daß die derzeit östlich des Suez-Kanals stationierten britischen Kriegsschiffe unter dem Befiehl Admiral Bushs gestellt werden. Bush aber ist Chef der Mittelmeerflotte, und zu seinem Befehlsbereich gehört demnach auch Gibraltar. Spanien sieht also Gibraltar wieder in altem kriegerischem Glanz erstrahlen: Die künftig über dreißig britischen Kriegsschiffe der neuen britischen Mittelmeerflotte werden dann neben Zypern und Neapel auch Gibraltar als Heimathafen benutzen und, gemeinsam mit der VI. Flotte, Gibraltars Wirtschaft, die durch die spanischen Isolierungsmaßnahmen etwas schwindsüchtig geworden ist, wieder auf die Beine helfen.

Was vorläufig also noch den Anschein anglo-amerikanischer Sticheleien gegen Spanien hat, könnte sich in nicht zu ferner Zukunft in ein ernsthaftes Hindernis für Madrids Gibraltar-Politik verwandeln. Der Sieg, den Spanien im Dezember in der UNO-Vollversammlung errungen hat und der nichts Geringeres bedeutet, als daß Gibraltar Spanien zugesprochen wurde, würde dann nur noch ein wertloses Stück Papier sein.

Man versucht sich daher in Madrid etwas mit dem Gedanken zu trösten, daß das anglo-amerikanische Schwadronnieren im Mittelmeer ein durch die russische Gegenwart bedingter strategischer Schachzug ist. Denn in ihm tummeln sich derzeit sechs russische Unterseeboote, acht mit Raketen ausgerüstete Zerstörer und eine Anzahl kleinerer Einheiten. Allerdings besteht durchaus die Möglichkeit, daß auf diesen Schachzug ein Gegenzug erfolgt und das Ganze in ein Dauerturnier ausartet.

Dafür spricht jedenfalls die Tatsache, daß Gibraltar letzthin dn immer stärkerem Maß von den sowjetischen Handels- und Fischfangschiffen angelaufen wird, die nach der Ostsee, dem Schwarzen M’er, dem Fernen Osten, Kuba und der Antarktis auslaufen. Die USA und Großbritannien werden zweifellos versuchen, einer derartigen „Sowjetisierung” des Mittelmeers und Gibraltars ein Gegengewicht zu setzen.

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