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Künstlerischer Koch serviert Süßes

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Der Mund eröffnet das Mahl nicht mit dem ersten Bissen -sondern mit dem Tischgebet: der Dank ist zugleich die Erinnerung daran, daß jedes gemeinsame Essen eine kultische Handlung ist.

Das Horsd'oeuvre des Mahles war im Mittelalter die Trompetenfanfare. Sie forderte zum Händewaschen auf. Unter Musikbegleitung erschienen die Pagen, die die Speisen auftrugen. Fünf Stunden speisten unsere mittelalterlichen Vorfahren. Immer aufs neue spielten Spielleute auf Waldhörnern, wenn neue Speisen aufgetragen wurden, dazu gab es artistische und pantomimische Darstellungen. Tänzer traten in Masken von wilden Tieren auf, Lautenspielerinnen und Ballettänzer mit Schellen an den Füßen stiegen aus Torten.

Trendwende in der Gegenwart: Nach dem Fast food mit frequenzbeschränkter Hintergrundmusik kommt wieder die Eat Art, die Dinner Show und das Freßtheater.

Im Hernalser Etablissement Metropol fand unlängst ein „Rauch- und Verzehr-Theater” statt, bei dem die Kellner auf Stelzen gingen und der Conferencier sang. Oper war von Anfang an ein - Freßtheater. Die Logen der fürstlichen Opernhäuser der Renaissance waren wie geschaffen für intime Dinners, die auch andere leibliche Genüsse zuließen.

In Japan wird Musik schon lange im Doppelpack mit Dinner verkauft: Carreras und Kaviar, Pavarotti und Pasta, Minelli und Minestrone. Zu Weihnachten sind diese Dinner Shows besonders beliebt.

Jetzt will Musical-Erfolgsautor Michael Kunze gemeinsam mit dem deutschen Koch Hans Peter Wodarz ein „Freßtheater” in Europa entwickeln, in dem die Kellner um die speisenden Gäste tänzeln und bän-keln. Bevor das Slapstick-Restaurant-Etablissement in Las Vegas oder Berlin .gebaut wird, findet es bei den Olympischen Spielen in Atlanta in einem Zirkuszelt statt.

Daß unsere Kulturgeschichtsschreibung mehr berühmte Komponisten würdigt als berühmte Köche, mag an der übertriebenen Liebe zu allem Unverdaulichen, zum Hang der Kulturgeschichtsschreiber zu Dingen mit Langzeitwirkung - etwa Notenblätter - liegen. Kochen ist eine Kunst und Komponieren eine ähnliche, das Zusammensetzen von Zutaten.

Berlioz verglich die beiden Künste so: „Die Italiener wollen eine Partitur, die sie sich wie einen Teller Mak-karoni sofort einverleiben können, ohne nachdenken oder gar den Sinn darauf richten zu müssen!” Oper in Italien in der Blütezeit des 19. Jahrhunderts war Fast food: gekocht, serviert und gegessen - alles in nicht mehr als einem Monat.

Gioacchino Bossini, der auch einen Neujahrstoast vertont hat, ist als Kochkünstler in die Musikgeschichte eingegangen. Seine Rezepte werden heute vom italienischen Starkoch Antonio Carluccio nachgekocht. Später servierte Rossini seine Kompositionen nicht mehr auf der Opernbühne -weil ihn der Opernbetrieb anwiderte - sondern bei intimen Parties.

Nach den barocken Tafelmusiken haben sich die Komponisten weitgehend vom Essen musikalisch ferngehalten - von der opernhaften Begleitung beim letzten Mahl Don Giovannis abgesehen. Jetzt schreibt man wieder „Dinner Music”, wie zum Beispiel Carla Bley für Klavier und Jazz-Ensemble.

Das Fussen ist die Partitur, das Instrumentarium die Kochgeräusche, die Musiker und eine Tänzerin die Begleitung. Das ist „Cyber Sweets” - ein Klangdinner-Event im Museum für angewandte Kunst, das am Montag, den 1. Juli die Beihe Cybernetic Dinners eröffnet. Der deutsche Kunstkoch Jochen Frey wird Süßigkeiten zubereiten, seine Kochgeräusche werden live verstärkt, die Kochgeräte erklingen als Alltagsobjekte. Geige und Schlagwerk begleiten das Kochen. Weitere Zutaten sind die Musik der österreichischen Extremviolinistin Mia Zabelka und Wolf Bachofners „Küchenphilosophien”.

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