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Der Mythos von Liebe und Einsamkeit

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Es war ein heißer Samstagnachmittag im Juni 1953. Ein junger Mann mit einer Gitarre in der I Iand betrat das Aufnahmestudio der kleinen Plattenfirma „Sun Records” in Memphis im US-Bundesstaat Tennessee. Er war - für die damalige Zeit - schrill gekleidet und hatte sei-. ne Haare mit viel Frisiercreme zu einer enormen Schmalztolle aufgetürmt. Der schüchterne 18jährige wollte seiner Mutter ein Geburtstagsgeschenk bereiten: Für vier Dollar konnte man bei „Sun” zwei Lieder aufnehmen, auf eine Single pressen lassen und diese mit nach I lause nehmen. Marion Keisker, die an jenem Nachmittag Dienst im Studio hatte, erkannte, daß an dem singenden LKW-Fahrer etwas Besonderes war. Sie notierte Namen und Adresse: Elvis Presley, 462 Alabama Street. Das war der Beginn einer einzigartigen Karriere, die vor genau 20 Jahren endete: Am 16. August 1977, als der schwer medikamentenabhängige Superstar die Gitarre für immer aus der Hand legte.

Mit seiner Musik und seinem Auftreten brachte Elvis Presley das Lebensgefühl der Jugend der fünfziger Jahre auf den Punkt und wurde zur Verkörperung der Rock'n'Roll-Ära. Nach einer Phase der künstlerischen Agonie erlebte er Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre einen zweiten Höhenflug als gereifter Entertainer. Durch dieses phönixhafte Wiedererstehen wurde aus dem Idol von einst eine lebende Legende. Durch seinen frühen Tod im Alter von 42 Jahren schließlich wurde er zum Mythos, dessen Strahlkraft bis heute ungebrochen ist.

Als derl8jährige Elvis das „Sun”-Studio betrat, gärte es in den Vereinigten Staaten. Im Amerika der fünfziger Jahre herrschte ein Klima der geistigen Enge und Prüderie, gegen das die Jugend aufbegehrte. Spielfilme wie „.. .denn sie wissen nicht was Sie tun” mit James Dean, oder „Der Wilde” mit Marlon Brando sind Dokumente jener juvenilen Auflehnung. Was der rebellischen Jugend noch fehlte, war eine musikalische Ausdrucksform. Auf dem Gebiet der populären Musik beherrschten nämlich seichte, zuckersüße Schlager das Feld, in denen die Welt so heil wie in einer Puppenstube und Liebe so aufregend wie Zahnpastawerburtg war.

Findige Musikproduzenten spürten, welche Musik der rebellischen Jugend gefallen würde: Die Musik der Afroamerikaner, der Rhythm & Blues. Die Schwarzen ließen durch Intonation und Körperbewegungen keinen Zweifel daran, daß auf einen Kuß noch andere Dinge folgen und womit Temporaladverba wie tonight verbunden sind. Doch die großen Radiosender boykottierten die „Negermusik” und Moralapostel riefen das „anständige”, weiße Amerika auf, solche Platten nicht zu kaufen. „Wenn ich einen Weißen finden würde, der dieses schwarze Feeling hat, könnte ich eine Milliarde Dollar verdienen”, seufzte auch Sam Phillips, der Manager der kleinen Plattenfirma „Sun”.

Elvis war genau das, worauf Phillips gehofft hatte. Nachdem der Plattenproduzent den jungen Sänger unter Vertrag genommen hatte, kreierten sie zusammen einen neuen Sound: Rockabilly, eine schnelle, rhythmische Mischung aus dem schwarzen

Rhythm & Blues und Hillybilly, der Volksmusik der amerikanischen Südstaaten. Vor allem aber sein Aufreten machte Elvis bald zu einer lokalen Berühmtheit: Seine gewagten Hüftschwünge sowie seine inbrünstige und laszive Art zu singen, begeisterten das junge Publikum. Die weiblichen Teenager verfielen bei seinen Auftritten vor Begeisterung reihenweise in Schreikrämpfe. Elvis wurde zum musikalischen Sprachrohr der rebellischen Jugend - und zum Feindbild des konservativen Amerika, das den Untergang des Abendlandes kommen sah.

1955 nahm der Manager „Colonel” Tom Parker Elvis unter seine Fittiche. Der skrupellose Geschäftsmann machte aus der lokalen Größe einen Superstar. Schneller Rock'n'Roll mit schnalzenden Rhythmen und vor Leid triefende Balladen mit wallender Elektro-Gitarre wurden zu seinem Markenzeichen. Elvis' erster landesweiter Erfolg war „Heartbreak Hotel” (1956), eine düstere Allegorie der Einsamkeit. Im selben Jahr drehte Elvis auch seinen ersten Film „Love Me Tender”, dem bald weitere folgten: „Jailhouse Bock” und „Love Me”. Diese für die fünfziger Jahre typischen Musikfilme waren zwar relativ anspruchslos, doch begeisterten sie durch Musik, die auf der Höhe der Zeit war. Die heute weniger bekannte Nummer „AlLShook up” wurde Elvis' größter Charts-Erfolg, „Don't be cruel” seine meistverkaufte Single.

1958 nahm Elvis Abschied vom Rebellentum. Er folgte dem Einberufungsbefehl und diente zwei Jahre als einfacher US-Soldat in Deutschland, wo er seine spätere Frau Priscilla kennenlernte. Daß er nicht versucht hatte, sich vor dem Dienst für das Vaterland zu drücken, besänftigte seine einstigen Kritiker. Colonel Parker, der im Jänner dieses Jahres in Las Vegas (wo sonst?) gestorben ist, war das nur recht: Konsequent machte er aus dem einstigen Bürgerschreck einen Star für die ganze Familie. Bühnenauftritte gehörten der Vergangenheit an, Parker setzte auf das Medium Film. Von 1962 bis 1968 drehte Elvis im Durchschnitt drei Filme pro Jahr, seichte Komödien niedrigsten Niveaus. Bis auf wenige Ausnahmen (zum Beispiel „Can't help falling in Love”) waren die dazugehörigen Songs belanglos und uninspiriert. Neue musikalische Entwicklungen gingen an dem von der Außenwelt abgeschirmten Elvis völlig vorüber. Als schließlich auch niemand mehr seine Filme sehen wollte, wäre seine musikalische Laufbahn fast zu Ende gewesen.

Umso mehr staunte das Publikum, als es 1968 in einer einstündigen Fernsehshow einen wie ausgewechselten Elvis zu Gesicht bekam: Ganz in schwarzem Leder, nervös zwar, aber voller Charisma stand er auf der Bühne, spielte und sang live. Diese üppig instrumentierte, aber kraftvolle Rockmusik traf den Geschmack der Zeit. Es war ein glänzendes Comeback. Elvis feierte Triumphe auf Showbühnen in ganz Amerika, vor allem in Las Vegas, wo er von 1968 an regelmäßig auftrat.

„Wenn ich beim Singen stillstehe, ist es vorbei mit mir. Dann kann ich genausogut wieder Lastwagenfahrer werden”, soll Elvis einmal gesagt haben. 1973 war es soweit: Lust- und bewegungslos spulte er routinemäßig

Der„King of Rock'n'Roll sein Programm auf den Bühnen i Amerikas herunter. Das Showgeschäft war für ihn zur Qual ge-orden. Zu jener Zeit begann auch sein exzessiver Tabletten-mißbrauch. „Elvis war ein wandelnder Medikamentenschrank”, erzählte ein ehemaliger Leibwächter. Der Sänger begann unter Verfolgungs- und Größenwahn zu leiden und entwickelte eine plötzliche Affinität zu Schußwaffen. Er wurde zu jenem aufgedunsenen Zombie im weißen, über und über mit Pailletten benähten Anzug, als der er - bedauerlicherweise - vielen in Erinnerung geblieben ist. Elvis war körperlich und künstlerisch am Ende. „Er hatte die Arterien eines 80jährigen Mannes”, sagte ein Angestellter jenes Krankenhauses, in dem Elvis starb.

Heutzutage verknüpfen allenfalls noch Zeitzeugen Elvis Presley mit Bebellion und Aufbegehren. Was sind schon ein paar Hüftschwünge und ein bißchen Stottern und Stöhnen im Vergleich zu jener radikalen Infragestellung der Gesellschaft, die spätere Generationen von Jugendlichen - wie etwa Hippies oder Punks - praktizierten? Heute ist die Musik von Elvis vielmehr eine berührende Botschaft aus einer Ära, in der ausgiebiges Schwelgen in Liebe, Trauer oder Einsamkeit noch artikuliert werden konnte, ohne daß gleich irgendjemand den Finger und den böse gemeinten Vorwurf „Kitsch!” erhob; eine Epoche, als Zeilen wie die folgenden noch ehrlicher Ausdruck romantischer Gefühle waren und auch als solche gelten durften: Love me tender, love me true all my dreams fidlfill o my darling, I loveyou and I always will

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