Turgenjew - © Foto: Getty Images / Culture Club

Iwan Turgenjew: Wegbereiter der russischen Literatur

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„Kein Wort zuviel!“, so lobte Gustave Flaubert die ­elegante Prosa seines Zeitgenossen Iwan Turgenjew – nun wiederzuentdecken in neuen Übersetzungen.

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„Kein Wort zuviel!“, so lobte Gustave Flaubert die ­elegante Prosa seines Zeitgenossen Iwan Turgenjew – nun wiederzuentdecken in neuen Übersetzungen.

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Man tut es nicht gerne, aber manchmal muss man auch Autoritäten wie Vladimir Nabokov widersprechen: Iwan Turgenjew war ein großer, ja ein bedeutender Schriftsteller, auch wenn Nabokov da seine Zweifel hatte. Iwan Turgenjew (1818 bis 1883) kommt das Verdienst zu, den beiden größeren Autoren, Tolstoj und Dostojewski, den Weg zu den europäischen Lesern geebnet zu haben. Seine Romane wurden umgehend in das Englische, Französische und Deutsche übersetzt. Durch Turgenjew wurde die russische Literatur international. Er war der erste russische Autor von europäischem Rang und auch der erste, dem noch zu Lebzeiten eine deutsche Werkausgabe (in zwölf Bänden) zuteil wurde.

Unter dem Eindruck von Puschkin und Gogol begann Turgenjew seine literarische Karriere als Poet und Stückeschreiber, erkannte aber nach der begeisterten Aufnahme seiner „Aufzeichnungen eines Jägers“, erschienen 1852, dass sich sein Talent wohl am besten in der Prosa entfaltet. Die poetischen Skizzen aus dem russischen Landleben entstanden zu einer Zeit, in der die Thematisierung der Leibeigenschaft noch von der Zensur verboten war. Doch wer konnte sich diesen Naturschilderungen entziehen, in denen auch das einfache Volk seinen Auftritt hatte? Sein „Brief über Gogol“ wurde in Petersburg von der Zensur verboten. Als der Text in Moskau im Druck erschien, wurde Turgenjew verhaftet und nach einem kurzen Gefängnisaufenthalt für zwei Jahre auf sein Gut Spasskoje verbannt. Nach dieser Episode blieb Turgenjew lebenslang ein Reisender, der zwar immer wieder in seine Heimat zurückkehrte, seine Tage aber doch lieber in Paris oder Baden-Baden verbrachte. In Baden-Baden hatte sich auch die berühmte ­Sängerin Pauline Viardot-Garcia, Turgenjews lebenslange Geliebte, nach Beendigung ihrer Weltkarriere zurückgezogen. Turgenjew hatte sich während ihres Gastspiels in Petersburg unsterblich in sie verliebt und hielt ihr ein Leben lang die Treue.

Sittenbild der russischen Gesellschaft

Nach der Mitte des Jahrhunderts entstanden seine Hauptwerke, die Romane „Rudin“ (1856), „Das Adelsnest“ (1858 erstmals erschienen, nun unter dem Titel „Das Adelsgut“ von Christiane Pöhlmann neu übersetzt), „Am Vorabend“ (1860) und sein vielleicht bekanntestes Werk „Väter und Söhne“ (1862). Durch seinen Helden Jewgeni Basarow kann der Roman für sich in Anspruch nehmen, den Typus des Nihilisten, von Turgenjew wird die Bezeichnung abwertend-ironisch benützt, weithin bekannt gemacht zu haben. Nur ein Jahr nach Aufhebung der Leibeigenschaft erschienen, gilt der Roman als wichtigstes literarisches Dokument dieser Reformperiode.

Die von Vera Bischitzky neu übersetzte Erzählung „Erste Liebe“ (1860 erstmals veröffentlicht) ist ein Werk seiner Reifezeit. In ihr verarbeitet Turgenjew ein traumatisches Erlebnis seiner Jugend. Er selbst hat den autobiografischen Hintergrund der Erzählung mehrfach bestätigt. Eine hoch angesehene und wohlhabende Familie, bestehend aus Vater, Mutter und einem sechzehnjährigen Sohn, mietet ein Sommerhaus bei Moskau (heute wäre das Anwesen mitten in der Stadt). Kurz darauf bezieht eine etwas fragwürdige Fürstin mit ihrer einundzwanzigjährigen Tochter ein Nebengebäude. Die hübsche Tochter entwickelt ein reges gesellschaftliches Treiben, das dem jungen Mann nicht verborgen bleibt. Er wird, als Jüngster zwar, aber immerhin, in diesen Kreis aufgenommen und ein harmloses Sommervergnügen nimmt seinen Anfang. Das Ganze wird bitter und endet schließlich in einer Katastrophe, als der Vater des jungen Mannes, ein erfahrener Lebemann, der Prinzessin nachstellt. Wie bei den „Aufzeichnungen eines Jägers“ folgt man dem flüssigen Parlando von Turgenjews Prosa und so wie man dort plötzlich in die Abgründe der russischen Lebenswirklichkeit blicken kann, steht man hier vor einem emotionalen und gesellschaftlichen Inferno, das anzurichten man dem liebenswürdigen Gentleman-Schriftsteller nie und nimmer zugetraut hätte.

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