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Neuer Roman von Celeste Ng: Wenn die Literatur die Welt retten soll

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Rainer Moritz über den neuen Roman "Unsre verschwundenen Herzen" der Autorin Celeste Ng.

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Rainer Moritz über den neuen Roman "Unsre verschwundenen Herzen" der Autorin Celeste Ng.

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Nein, Bücher machen – auch wenn eifrige Literaturvermittler das gern behaupten – keineswegs immer glücklich. Manchmal legt man sie enttäuscht oder gar verärgert beiseite, vor allem wenn sie hochgesteckte Erwartungen nicht erfüllen. Die 1980 geborene US-Amerikanerin Celeste Ng feierte gleich mit ihren ersten beiden Romanen – „Was ich euch nicht erzählte“ (2016) und „Kleine Feuer, überall“ (2018) – weltweit Erfolge und zeigte, wie gut und unterhaltsam fein geplottete Familien- und Gesellschaftsromane keine Domäne ihrer männlichen Kollegen sein müssen. Beide Bücher erzählten von großen und kleinen familiären Dramen, von der ausgrenzenden Macht der Ökonomie im Kleinen und von nicht nur unterschwelligem Rassismus – angereichert durch ein hohes Maß an Emotionen, die nur selten ins bloß Sentimentale abdrifteten.

„Unsre verschwundenen Herzen“ bleibt diesem Ansatz treu und geht doch einen erkennbar anderen Weg. Denn was Ng in ihrem dystopischen Roman ausbreitet, ist die Fortführung einer restriktiven, allein auf das US-Wohl ausgerichteten Politik, wie sie sich in den letzten Jahren krass zeigte. Hauptfigur des in Cambridge, Massachusetts, angesiedelten Romans ist der zwölfjährige Noah, Bird genannt. Er lebt mit seinem Vater, einem Linguisten, der eine Bibliothekarsstelle bekleidet, in einer bescheidenen Campuswohnung. Seine Mutter Margaret Miu, Schriftstellerin mit asiatischer Herkunft, hatte drei Jahre zuvor die Kleinfamilie aus anfangs rätselhaften Gründen plötzlich verlassen und war untergetaucht.

Die USA, die Ng in eine nicht sehr ferne Zukunft versetzt, blicken auf eine schwere „Krise“ zurück, für die die autoritäre Regierung die „gelbe Gefahr“ China verantwortlich machte. Ein gegen alles Asiatische gerichteter Rassismus macht sich breit und geht – Donald Trump und die Corona-Pandemie lassen grüßen – Hand in Hand mit einer Politik, die das amerikanische Wohl über alles andere stellt. PACT („Preserving American Culture und Tradition“) heißt das maßgebliche Gesetz, das alles „Antiamerikanische“ und Asiatische an den Pranger stellt, Denunziantentum fördert und zugleich – ein Nebenstrang des Romans – Kinder aus vermeintlich prekären Verhältnissen gegen den Willen ihrer Eltern kurzerhand zu Pflegeeltern gibt. Birds Freundin Sadie ist eine der Betroffenen.

Ngs Roman erzählt von der daraus resultierenden Angst und Verzweiflung, und wenn Bird aufbricht, um seine Mutter zu suchen, bringt die Autorin, wie man es von ihr kennt, die widerstreitenden Gefühlswelten der Beteiligten überzeugend nah. Leider bleibt es dabei nicht. Birds Mutter Margaret hat sich abgesetzt, weil sie gegen das System und die PACT-Verwalter rebellierte und ihre Familie nicht in Gefahr bringen wollte. Zeilen aus einem ihrer Gedichte, die „missing hearts“, „verschwundene Herzen“ beklagen, werden zur Erkennungslosung der Systemgegner und als Graffiti eingesetzt. Die Streukraft der Literatur, so Ngs Botschaft, schafft es, eine rassistische Regierung unter Druck zu setzen und Gleichgesinnte zu vereinen. Gleichzeitig formiert sich Widerstand gegen die Politik der Kinderverschleppung, und natürlich geschieht das zwischen den Regalen der Bibliotheken, wo man sich Kassiber zusteckt. Selten wurde so naiv die Kraft von Literatur heraufbeschworen.

Das alles ist furchtbar gut gemeint, überschreitet die Kitschgrenze oft gewaltig – und führt vor allem dazu, dass Ngs erzählerische Qualitäten über weite Strecken verlorengehen. „Unsre verschwundenen Herzen“ ist, leider, eines jener Bücher, die unglücklich machen.

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