6730848-1965_49_34.jpg
Digital In Arbeit

UM DIE BURG ...

Werbung
Werbung
Werbung

Die Szene ist gestellt. Hie Egmont — hie Ottokar! So lauten die Kampfrufe der großen Diskussion, die nun über die Eröffnungs-premiere unseres Burgtheaters voll entbrannt ist. Daß diskutiert wird, ist erfreulich: Es wäre auch wirklich ein böses Zeichen, wenn die Wiedereröffnung dieser Bühne eine in Alltagssorgen verstrickte, desinteressierte Öffentlichkeit vorfinden würde. Die Zeiten sind lange vorbei, da sich die allgemeine Aufmerksamkeit auf die zugeteilten Kaloriensätze konzentrierte, und auch der aufregende Streit um den Milchpreis kann vergessen werden, wenn es einmal um etwas ganz Besonderes, wenn es — wie man in Wien sagt — „um die Burg“ geht.

Ja, es geht um die Burg — um unser Burgtheater.

„Die Furche“ hat in der Diskussion um die Eröffnungspremiere klar Stellung bezogen und ein eindeutiges Votum für Grillparzer und seinen „Ottokar“ abgegeben. Unnütz, noch einmal zu betonen: kein enger Kirchturm-horizont bestimmte dieses Urteil. Kindisch, zu glauben, es gelte, dem „reichsdeutschen“ Geheimrat Wolfgang von Goethe eines auszuwischen.

Es gibt aber noch andere Leute, die jedes Feingefühl vermissen lassen, die aus der Diskussion um das Burgtheater ein „Politikum .Egmont'“, eine Parteifrage machen wollen. Wenn im Zentralorgan des österreichischen Sozialismus eine ziemlich hemdärmelig vorgetragene Polemik gegen Habsburg, Klerikalismus, Reaktion — noch ein Ladenhüter aus der Mottenkiste gefällig? — mit dem Fanfarenruf beschlossen wird, „deshalb sind wir für den ,Egmont'“, so ergaben sich außer Kopfschütteln auch einige Fragen.

„Wir“ — wer ist das? Die Redaktion, vielleicht sogar die gesamte zweite Regierungspartei, die hiermit geschlossen bis in die kleinste Sektion und bis zum letzten Arbeiterradsportler Front bezieht?

Die Besorgnis war verfrüht. Schon einen Tag später konnte man in der Rundfrage eines anderen Blattes die Meinung des Obmannes der sozialistischen Journalisten und Schriftsteller lesen:

„Wäre die Alternative etwa ,Faust' oder ,Ottokar', stünde die Frage anders. Dann würde das Theater eben die bedeutendste dramatische Dichtung des eigenen Sprachbereichs aufführen. Da aber aus dem Mund Dr. Rotts selbst das Wort vom Freiheitsdrama gefallen ist, scheinen mir alle Gründe — von Grillparzer bis zu Österreich und Wien —, deren Aufzählung sich geradezu erübrigt, für den ,Ottokar' zu sprechen. Schließlich begegnet das Schauspiel Grillparzers der Festlichkeit der Eröffnung auch nicht mit Kerker und Opfertod, sondern mit dem Sieg der gerechten Sache und dem hoffnungsvollen Blick in die Zukunft.“ Soweit Prof. Rudolf Brunngraber. Zum Glück gibt es doch noch Menschen, die sich dem Lasso einer Meinungsvorschreibung entziehen.

Gott sei Dank haben wir auch Fragen, die sich für eine Parzellierung in rote und schwarze Schrebergärten nicht eignen.

26. Februar 1955

PS. 1965: Gottlob gibt es auch heute noch Österreicher die sich nicht in das jeweilige „Farbkastel“ einordnen lassen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung