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Freundschaftsbriefe von Ricarda Huch

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Ricarda Huch: „Briefe an die Freunde.“ Ausgewählt und eingeleitet von Marie Baum. Verlag Rainer Wunderlich—Hermann Leins, Tübingen. 391 Seiten. Preis 16.80 DM

Man hätte es für den Leser nicht so mühsam machen sollen, als man die Freundschaftsbriefe der verstorbenen Ricarda Huch herausgab. Man hätte daran denken sollen, daß das Bild Ricarda Huchs, zehn Jahre nach ihrem Tod, schon etwas umrißlos geworden ist im Gedächtnis der Zeitgenossen. Denn wer von den jüngeren Leuten weiß noch, wer Ricarda Huch gewesen ist? Sie starb mit 83 Jahren, aber ihre große Zeit war die erste Dekade unseres Jahrhunderts. Damals wurde sie berühmt, damals fing man an, ihre Bücher zu lesen, damals erschienen in rascher Folge die beiden Bände über die Romantik, die Essays über Menschen und Schicksale aus dem Risorgimento, das Leben des Grafen Federigo Confalonieri und Der große Krieg in Deutschland (der Dreißigjährige), die Romane und Gedichte. Später wurde es stiller um sie, besonders in den dreißiger Jahren. Sie zog sich in ihr Alter zurück, die schon 1864 Geborene. Sie war noch immer berühmt, aber warum, das wußten viele schon nicht mehr. Dem hätte man abhelfen sollen mit einer biographischen Einführung (und nicht nur mit dem Fragment einer solchen), mit Anmerkungen und Kommentaren. Das hat man aber leider nicht getan, und so fängt nun dieser Briefband allzu unvermittelt an, allzu übergangslos. Man hat seine Mühe, sich zurechtzufinden und Anteil zu nehmen. Man begann mit 1911, mit der fast Fünfzigjährigen, und bemerkte nur: „Es lagen schwere Kämpfe und bittere Gefühle hinter ihr, als Ricarda .. München zum Wohnsitz wählte.“ Dann tauchen Namen auf, die man nicht einordnen kann, wenn man nicht schon Bescheid weiß, Beziehungen, die für den Leser in der Luft hängen bleiben, Andeutungen, die man nicht verstehen kann. Dabei verlangten diese Briefe nach ihrem menschlich-biographischen Zusammenhang, denn es sind keine literarischen Episteln, wie beispielsweise viele Briefe Rilkes, sie sind aus dem Tag und für den Tag geschrieben, mit viel Ephemeren beladen und mit Privatem, sie können selten für sich bestehen Und so sagte man sich: mit der Sammlung und Heratisgabe von Briefen ist es noch nicht getan, und es ist die Pflicht des Herausgebers, dem Leser, uneingeweiht wie er doch meistens ist, gewisse Schwierigkeiten aus dein Weg zu räumen, ihm das Verständnis zu erleichtern, ihm mit Hinweisen und Erklärungen entgegenzukommen, ihm das biographische Gerüst zu geben, das er braucht, ein Gerüst und nicht nur zwei oder drei Stangen, die keine Hilfe sind. Darauf aber wird man sich in diesem Falle nicht berufen können, man habe doch schon vor sechs lahren eine Biographie der Ricarda Huch geschrieben (Marie Baum: „Leuchtende Spur“. Das Leben Ricarda Huchs. Im gleichen Verlag 1950), denn eine Biographie ist eines und eine Briefsammlung ein anderes, und man soll nicht das Verständnis eines Buches vom Kauf eines anderen abhängig machen. Wohin kämen wir mit einer solchen Praxis?

Das war bei dieser Gelegenheit einmal zu sagen, denn es geschieht nicht selten, daß sich Herausgeber Ungeschicklichkeiten zuschulden kommen lassen, besonders dann, wenn sie zu nah an ihrem Stoff und zu vertraut mit ihm, nicht mehr abzuschätzen vermögen, was der Außenstehende wissen kann und was nicht.

Aber abgesehen davon finden wir es angemessen, das Andenken an diese bedeutende Frau wach und lebendig zu erhalten. Sie hatte einen weiten Spielraum, war klug und hochgebildet, und ihre Bücher zeigten ein kräftiges Temperament und eine Diktion von Reiz und Glanz. Ihre Briefe allerdings wirken unmittelbar und ungekünstelt und verschonen uns mit den geistreichen Kaskaden gewisser Epistolo-graphen, die — Namen erübrigen sich — sich selbst in ihren Privatbriefen oft so unangenehm und aufdringlich spreizten Hier nichts dergleichen. Die Briefe Ricarda Huchs verfielen weder ins Traktathafte noch in den Monolog, sondern blieben immer genau auf ein Gegenüber gestimmt, blieben Briefe und wurden keine Literatur. Wir empfinden das angenehm; dieses Nichzurechtgemachte der Korrespondenz ist uns sympathisch, auch wenn sich für das Verständnis der Bücher Ricarda Huchs nicht allzuviel ergibt und mehr für das Drum und Dran.

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