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Machen blutrünstige Filme Lust aufs Töten? Jein, lautet die Antwort des neuen Handbuchs "Mediale Gewalt".

Für den Hannoveraner Schulpsychologen Bernd Jötten war die Sache klar: Zwischen gewaltverherrlichenden Computerspielen und Gewalttaten von Jugendlichen gebe es einen nachweisbaren Zusammenhang, meinte er am 27. April, einen Tag nach der Bluttat von Erfurt. Simulierte Massaker wie in "Counterstrike", dem Lieblingsspiel des 19-jährigen Amokläufers Robert Steinhäuser, würden wie gewaltverherrlichende Filme und Videos zur Konditionierung von Gewalttätern beitragen. Wenige Wochen später, am 5. Juni, schien ein grauenhafter Mord diese These zu bestätigen: In Westfrankreich hatte ein 17-jähriger Schüler eine 15-Jährige mit zahllosen Messerstichen getötet - wie sein Vorbild in der Horror-Trilogie "Scream" mit einer Maske vorm Gesicht.

Wie groß ist tatsächlich die Wirkung gewalttätiger Medieninhalte auf die Zuseher? Provozieren gewalthaltige Filme Nachahmungstaten? Oder lassen sie gar - wie von Anhängern der "Katharsisthese" behauptet - den eigenen Aggressionspegel sinken? Zumindest letztere Annahme gilt als empirisch widerlegt - ebenso wie der Glaube, ungehemmter Konsum von Horror-Videos habe keinerlei Auswirkungen auf das jugendliche Seelenleben.

Davon abgesehen weiß man über die Wirkungsgesetze der Medien noch relativ wenig, gestehen die Experten im jüngst erschienenen Handbuch "Mediale Gewalt". Entsprechend leidenschaftlich plädieren die beiden Herausgeber, die christlichen Sozialethiker Thomas Hausmanninger (Augsburg) und Thomas Bohrmann (München), für ein Abgehen von Pauschalurteilen und liefern mit ihrer Erörterung kommunikationswissenschaftlicher, ästhetischer, juristischer, pädagogischer und ethischer Grundprobleme die Basis für eine differenzierte Debatte. Vor simplen kausalen Verknüpfungen wird jedenfalls gewarnt: "Im Einzelfall ist nicht voraussagbar, welche Medieninhalte genau eine Gewalttat auslösen, da der Medieninhalt im Zusammenspiel mit sozialen Faktoren wirksam wird", so der Mannheimer Medienwissenschafter Jürgen Grimm. Gewalthaltige Filme, die Menschen verketzern oder diskriminieren, Gewalt verherrlichen, verharmlosen oder öffentlich propagieren, seien aber in jedem Fall ethisch illegitim.

Faszinosum Gewalt

Was aber macht filmische Gewalt überhaupt interessant - für Jugendliche wie für die Filmindustrie? Sie vermittelt die Erfahrung eines physischen und emotionalen Erlebens, das die Grenzen des Alltäglichen sprengt. Zudem sorgt sie für Spannung und verwickelt den Zuschauer emotional in die Handlung, weiß der Münchner Regisseur Gerhard Hroß.

Nicht zuletzt hat sich die filmische Darstellung von Gewalt in jüngster Zeit zu einer eigenen Kunstform entwickelt. Beispiele dafür finden sich im Handbuch zur Genüge. Ausgehend von Alfred Hitchcocks Grusel-Klassiker "Psycho" (1960), der Mutter aller blutrünstigen "Slasher-Filme" (englisch für jene irre Mörderfigur, die ihren Opfern auflauert, um sie dann zu verstümmeln), eröffnet sich ein filmisches Pandämonium: Der neunteilige Schocker "Friday the 13th" (1980 bis 1993), in dem ein Mörder eine Gruppe Jugendlicher niedermetzelt, wird ebenso analytisch seziert wie Oliver Stones bluttriefendes Road Movie "Natural Born Killers" (1994). Um richtig verstanden zu werden - im Fall von "Friday the 13th" als "makabres Spiel mit dem Schrecken" oder im Fall von "Natural Born Killers" als ästhetische Inszenierung von Gewalt - bedarf es zweifellos einer bestimmten Reife des Rezipienten. Die Vergabe von Alterslabels, wie sie in Deutschland und Österreich praktiziert wird, könne hierzu nur "eine Groborientierung bieten, die individuell angepasst werden muss", mahnt Thomas Hausmanninger. Nötiger sei die soziale Einbettung beim Sehen eines Films, um Überforderungen und psychischen Verletzungen zu vermeiden.

Zensur halten die Experten in jedem Fall für kontraproduktiv. Sie würde nicht den Konsum von Mediengewalt stoppen, sondern nur die Beschafftungswege ändern. Ähnlich hat vor längerer Zeit auch der ORF argumentiert - der wie die gesamte medienrechtliche Situation in Österreich im Handbuch "Mediale Gewalt" ausgeblendet bleibt: "Jede Form von Zensur oder Bevormundung durch den Staat ist abzulehnen", hieß es in einer Aussendung. Zudem sei es sachlich nicht gerechtfertigt, Fernsehen und Radio als alleinige Sündenböcke für tragische Vorfälle und Gewalttaten hinzustellen, so der ORF.

Ein Blick in die Geschichte gibt ihm Recht: Gewalt gibt es nicht erst, seit es Medien gibt. Sie gehört, wie der französische Soziologe François Dubet betont, zu den "beharrlichsten sozialen Tatsachen."

MEDIALE GEWALT. Interdisziplinäre und ethische Perspektiven. Hg. von Thomas Hausmanninger und Thomas Bohrmann. W. Fink Verlag, München 2002. 424 Seiten, kart., e 29,90

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