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Medien wirken. Vor allem auf jene, die keinen Ausweg mehr wissen. Journalistische Verantwortung in der Berichterstattung über Selbstmord.

Der betroffene Journalist verstand die Welt nicht mehr. Hatte er doch nach bestem Wissen und Gewissen über den Selbstmord eines Assistenzsoldaten beim Österreichischen Bundesheer berichtet. Keine reißerische Schlagzeile, die richtige Wortwahl, keine Fotos. Dennoch erhielt besagter Journalist kurz nach Erscheinen des Artikels von Psychiater Gernot Sonneck vom Kriseninterventionszentrum (kiz) eine Rüge.

Verzerrung, Imitation

Sein Fehler: Die von einer bestimmten Quelle stammenden Daten hatte er falsch interpretiert. Das Ergebnis gab Sonneck Anlass zur Kritik, weil dadurch das Thema Selbstmord beim Bundesheer heruntergespielt wurde. Dieses Ereignis stellt jedoch keinen Einzelfall dar. "In der Praxis wird ein Selbstmord entweder verniedlicht oder aufgebauscht", kritisiert die Journalistin und Psychologin Christina Maria Hack von der "Initiative Qualität im Journalismus" die Medienpraxis. Im Rahmen der Fachtagung "Suizid und Medien" wurde deshalb weniger darüber referiert, in welchen Fällen Selbstmord thematisiert werden soll, sondern wie Medien damit umgehen. Die Experten sind sich einig, dass jeder Journalist dafür verantwortlich ist, in welcher Weise berichtet wird, und wie die Informationen zu analysieren sind.

Sorgsamer Umgang mit diesem Thema ist deshalb so entscheidend, weil die Arbeit eines Journalisten im schlimmsten Fall zu Nachahmung führen kann. Ein Beispiel aus dem tv-Journalismus verdeutlicht die Problematik: In Deutschland wurde 1981 zu Aufklärungszwecken die sechsteilige tv-Serie "Tod eines Schülers" ausgestrahlt. Die Nachvollziehbarkeit des Leidenswegs und eine detaillierte Beschreibung des Selbstmordes hatten ungeahnte Folgen. Wie sich bei einer empirischen Untersuchung herausstellte, nahmen die Suizide durch die gleiche Methode in der Altersgruppe der 15- bis 19-Jährigen um 175 Prozent zu. Ein Einzelfall? Mitnichten.

Im darauf folgenden Jahr wurde die Serie wiederholt. Auch dann musste ein Anstieg um 115 Prozent festgestellt werden. Danach pendelte sich die Rate auf das übliche Niveau ein. Es handelte sich also um zusätzliche Fälle; ausgelöst durch eine tv-Serie. Die Medien beeinflussen demnach nicht nur das gesellschaftliche Bild sondern nehmen auch auf individuelles Verhalten Einfluss.

Alternativen aufzeigen

Im Rahmen des World Suicide Prevention Day (10. September) haben Experten den Beitrag, den Journalisten zur Suizid-Prävention leisten können, besonders hervorgehoben. Jeder Bericht, der Alternativmöglichkeiten aufzeigt kann der Entwicklung eine neue Richtung geben und präventiv wirken. Gernot Sonneck legt deshalb den Journalisten ans Herz, "immer und unter allen Umständen auf Alternativen zum Tod im Bericht hinzuweisen". Und ergänzt, dass falls dies aus zeitlichen Gründen oder wegen Platzmangels nicht möglich sei, man besser "auf die Berichterstattung verzichtet". Der Hinweis auf Krisendienste darf ebenfalls nicht fehlen.

Im Zuge der Tagung wurde mehrmals betont, dass es wichtig ist, den Selbstmord in der Öffentlichkeit zu thematisieren. Trotzdem müsse man sich stets vor Augen halten, dass es immer jemanden gebe, der sich in einem Zustand absoluter Hoffnungslosigkeit befinde, appellierte Sonneck bei der Tagung "Suizid und Medien" und ergänzte: "Ein falsches Wort, eine unglücklich formulierte Schlagzeile kann der Impuls für den endgültigen Entschluss sein."

Lieber nachfragen, als ...

Sowohl Anfängern als auch altgedienten Journalisten soll der neu überarbeitete "Leitfaden zur Berichterstattung über Suizid" des Kriseninterventionszentrums den professionellen Umgang mit diesem Thema ermöglichen. Besonders stolz ist Christina Maria Hack darauf, dass es seitens der "Initiative Qualität im Journalismus" gelungen ist, eine Kooperation mit Experten aufzubauen. Eine ganze Reihe von Psychologen und psycho-sozialen Diensten in ganz Österreich haben sich bereiterklärt, Journalisten bei Anfragen zum Thema Suizid schnell und kompetent Auskunft zu geben. Zu wissen, an wen man sich als Journalist wenden könne, erleichtert die Arbeit ungemein, zeigt sich Hack von der Sinnhaftigkeit dieser Hilfestellungen überzeugt.

www.univie.ac.at/

krisenintervention/leitfaden.pdf

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