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Ein Rilke-Studienzentrum

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Kaum ein Italienfahrer, der auf der adriatischen Küstenstraße von Triest herkommend Venedig zustrebt, versäumt es, dem weißen Märchenschloß Miramare des unglücklichen Kaisers Maximilian von Mexiko seinen pflichtschuldigen Besuch abzustatten. Nur wenige aber wissen, wenn sie auf der Weiterfahrt die gewaltigen Mauern des ąuf steilen Felsen aus dem Meer aufragenden Schlosses Duino erblicken, daß sich hinter ihnen kein museales Relikt vergangener Zeiten, sondern eine lebendige Pflegestätte geistigen Lebens birgt.

So zählt zu den zahlreichen Aktivitäten des Schloßherrn, Principe Raimondo della Torre e Tasso, die vor drei Jahren erfolgte Gründung des „Centro studi Rainer Maria Rilke e šuo tempo“, das anläßlich der Überreichung des mit einer Million Lire dotierten „Premio Intemazionale Rainer Maria Rilke 1974“ an den Grazer Germanisten Prof. Dr. Helmut Himmel sich nun erstmals einer breiteren Öffentlichkeit vorstellte. Die Arbeit des Preisträgers, „Das unsichtbare Spiegelbild“, die sich mit einem zentralen Leitmotiv im dichterischen Werk Rilkes befaßt, war aus einer Reihe Einsendungen von einem Gremium namhafter italienischer Germanisten — den Professoren Magris (Turin), Bevilacqua (Florenz) und Baioni (Padua) — ausgewählt worden.

Der Entschluß des Enkels der warmherzigen Förderin und mütterlichen Freundin Rilkes, Fürstin Marie von Thum und Taxis-Hohenlohe, Duino zum Mittelpunkt einer Forschungsstätte über Leben und Werk des Dichters zu machen, kam nicht von ungefähr — war doch dieses Schloß mit seinem einmaligen Park eines der Refugien dieses großen österreichischen Lyrikers gewesen, und dankte er doch ihm die Inspiration zu seinem Hauptwerk, den der Fürstin zugeeigneten „Duineser Elegien“. So ist Duino geradezu prädestiniert für die Aufgaben, die sich das Studienzentrum gestellt hat. Bisher fanden unter Beteiligung namhafter Germanisten aus Italien, Österreich, Deutschland und der Schweiz zwei Symposien statt, von denen das letzte dem Thema „Rilke und die Prager Kultur zwischen Realität und Mythus“ gewidmet war. Ihre Ergebnisse liegen gedruckt vor, die Arbeit Professor Himmels soll ebenfalls in Bälde erscheinen.

Ein besonders dringliches Anliegen harrt noch seiner Durchführung: Ein Rilke-Museum als kulturelle Basis eines lebendigen wissenschaftlichen

Zentrums, das nicht zuletzt dazu beitragen soll, den Dichter der jungen Generation Italiens nahezubringen. Ein kleiner Palazzo außerhalb des Schloßbereiches, vom Fürsten bereitgestellt, soll es baldigst aufnehmen.

Daß das „Centro studi Rainer Maria Rilke e ii šuo tempo“ — es arbeitet mit kulturellen Vereinigungen, u. a. mit dem sehr rührigen Circolo di cultura italo-austriaco, eng zusammen — sich auch der besonderen Unterstützung staatlicher Stellen des Landes erfreut, läßt die Frage nicht unterdrücken, warum in Österreich noch kein Forum gleicher oder ähnlicher Zielsetzung zu finden ist — um so mehr, als man sich in anderen, und nicht nur deutschsprachigen Ländern bereits darauf vorbereitet, im kommenden Jahr den 100. Geburtstag des großen Lyrikers, einem der größten Österreichs, würdig zu begehen.

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