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Kafkas Erbe
Jetzt ist es soweit: am 17. November wird das handgeschriebene Original von Franz Kafkas .JProzeß“ versteigert. Sotheby's erhielt dieses legendäre Manuskript, das sich im Besitz des Nachlaßverwalters Max Brod befand und von ihm seiner langjährigen Sekretärin und Erbin Esther Hoffe übergeben worden war, um es in London dem Meistbietenden auszuhändigen.
Die Vorgeschichte dieses Vorgangs war überaus spannend, da sich das Manuskript jahrzehntelang im Safe einer Schweizer Bank befand und die Wissenschaftler, später sogar die Herausgeber der kritischen Gesamtausgabe, vergeblich um Einsicht in das Original gebeten hatten. Es gab sogar das Gerücht, daß die in Tel Aviv lebende Besitzerin das Werk seitenweise verkaufe, um einen höheren Preis zu erzielen.
Dieses Gerücht erwies sich dann als falsch, als Esther Hoffe Malcolm Pasley, dem Herausgeber des JProzeß“, innerhalb der kritischen Ausgabe Zugang zu dem Manuskript gab. Pasley bekam übrigens bei einer persönlichen Begegnung mit Esther Hoffe während eines Symposions der Kafka-Gesellschaft in Klosterneuburg sogar einige noch unbekannte Tagebuch-Seiten von ihr als Kopien ausgehändigt.
Inzwischen konnte Pasley den gesamten Text des ,J?ro-zeß“ im Original studieren und dabei feststellen, daß Max Brod als erster Herausgeber sehr gewissenhaft und genau gearbeitet hatte. Brod bewahrte das Manuskript nicht nur vor der Vernichtung, zu der Kafka es testamentarisch bestimmt hatte, sondern edierte das Werk ohne jede Veränderung.
Die kritische Ausgabe des von Brod geretteten und der Welt dadurch überhaupt erst bekannt gewordenen Romans, der wie kaum ein anderer die Nachwelt beein-flußt hat, ist also gewährleistet. Trotzdem ist das Original, von Kafka mit eigener Hand geschrieben und von ihm mit hochinteressanten Korrekturen versehen, von unermeßlichem, weil nicht nur finanziellem Wert. Für Kafkas Briefe an Feiice wurden im vergangenen Jahr rund 7,8 Millionen Schilling bezahlt. Wer wird nun den ,JProzeß“ ersteigern?
Nun, Franz Kafka war 25 Jahre lang Bürger der österreichisch-ungarischen Monarchie und nicht ganz sechs Jahre, bis zu seinem Tod, tschechoslowakischer Staatsbürger. Gestorben ist er in Kierling bei Klosterneuburg, begraben liegt er im Prager jüdischen Friedhof. In der CSSR ist er - trotz Perestrojka — immer noch beinahe Unperson. Und Österreich kann diese Summe, sicher nicht bezahlen.
Es ist schwierig, das Erbe des großen Österreich zu bewahren.
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