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„Neurotische Verwahrlosung“ durch fehlende Nestwärme

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Unsere vaterlose Gesellschaft ist zunehmend auch zu einer mutterlosen geworden. Verständlich, daß bei dem drohenden Zerfall der Famüie das Problem „Mutter zwischen Familie und Erwerb“ trotz der hektischen Vorweihnachtszeit Vertreterinnen und den Vertretern aller politischen Parteien, Frauenrefpraten und Interessenverbänden ein voller Nachmittag wert war.

Als Merkmale für die „neurotische Verwahrlosung“, die als soziale Krankheit innerhalb unserer Gesellschaft immer mehr um sich greift, nannte die deutsche Psychagogin Christa Meves als Hauptreferentin der vom Katholischen Familienverband veranstalteten Enquete die Ablehnung von Ordnung, bestehenden Lebensformen und Regeln, die Aggression, die Überbetonung von Haben anstelle von Sein, tiefgreifende Passivität und gleichzeitige Unfähigkeit zur Aktivität, das Unvermögen zu psychischer und religiöser Bindung, Vertrauenslo- sigkeit, Verkümmerung des Gewissens, Selbsthaß und Haß auf die Umwelt Alles Dinge, die zur Flucht in Alkohol, Rauschgift oder - wie die jüngste Entwicklung zeigt - auch in den Terrorismus führen.

Christa Meves, die nicht nur seit Jahrzehnten als Kindertherapeutin tätig ist, sondern auch zahlreiche Bücher veröffentlicht hat, nannte als Ursache eine „fundamental gestörte Gefühlsprägung“, die in den ersten Lebensjahren noch vor Einsetzen des bewußten Denkens durch die fehlende Nestwärme bei der Mutter erfolgt. Sie bestätigte vieles, was seit Jahren als Argument für die große Bedeutung der Familie für die gesunde psychische, geistige und körperliche Entwicklung eines Kleinkindes immer wieder eingeführt wird. Die Schlußfolgerung ist naheliegend: jede Mutter sollte sich in den ersten drei Lebensjahren nur ihrem Kind widmen können.

Mit manchem schoß Frau Meves

rdings über das Ziel hinaus: ihre Forderung, die Mutter sollte sich von ihrem Kind in den ersten fünfzehn Monaten nicht einen Augenblick trennen, ist zumindest unrealistisch. Die ausschließliche Betonung der Mutter zur Rettung der Familie schließt den Vater entgegen anderer psychologischer Erkenntnisse als Bezugsperson des Kindes aus und reduziert die Familie weiterhin auf ihre längst überholte kleinste Form. Gleichzeitig verursachte Christa Meves bei Frauen, die -

aus welchem Grund immer - keine Kinder haben, ein Gefühl der Diskriminierung. Als Gegenreaktion auf die leider immer noch bestehende Abwertung der „Nur“-Mutter ist das vielleicht verständlich. Im Sinne der Emanzipation der Frau, zu der auch die bewußte Entscheidung für oder gegen ein Kind als Teil ihrer Selbstverwirklichung gehört, sollte eine so versierte Psychagogin darauf verzichten können.

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