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Gegen die Krankheit unserer Zeit

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Es mußte wohl erst das tägliche Benzin für den fahrbaren Untersatz in Frage gestellt werden, um uns zum Nachdenken zu bringen, was die Folgen aus der seit zwanzig Jahren gewohnten Verschwendung sein müßten und wie man ihrer Herr werden könnte. Daß man sich auf dem Irrweg befand; daß es so nicht weitergehen könnte; daß die Erdölvorräte noch zu Lebzeiten unserer Enkel aufgezehrt sein würden - das alles wußte man seit Jahren. Trotzdem mußte erst auf das liebste Hühnerauge getreten werden, um Konsequenzen zu ziehen.

Auch in anderen Bereichen unseres Leben gärt seit langem Unbehagen - so etwa im sozialpsychologischen. Das Ansteigen der Selbstmordzahlen, des Drogenmißbrauchs, der Scheidungen sind die Symptome. Christa Meves diagnostiziert in einer neuen Studie des Katholischen Familienverbandes („Mütter zwischen Familie und Erwerb“) die „neurotische Verwahrlosung“ als „Krankheit unserer Zeit“.

Die neurotische Verwahrlosung äußert sich in der generellen Ablehnung von Ordnung, in illusionären Riesenansprüchen aus einer Ge-stimmtheit des Zukurzgekommen-seins, in der Folge in einer höheren Anfälligkeit für Eigentumsdelikte; in einer tiefgreifenden Passivität.

Weitere Erscheinungsformen der neurotischen Verwahrlosung sind das Unvermögen zu gefühlsmäßiger Bindung und damit die Einschränkung des Verantwortungsgefühls für den Nächsten, die Verkümmerung des Gewissens und damit die fehlende Steuerung der natürlichen primär egoistischen Triebimpulse wie Macht- und Besitzstreben, dann eine negativistische Weltsicht und schließlich das unbestimmte Gefühl fundamentaler Enttäuschung, die die Anfälligkeit für Alkohol und Drogen fördert.

Man weiß seit langem, daß die Keime dieser Neurosen in der Kindheit gelegt werden und daß die Eindrücke und Erfahrungen des Kleinkindes in den ersten Lebensjahren entscheidend für die Persönlichkeitsentwicklung sind. Und man weiß seit Jahren, daß jede Trennung von Mutter und Kind Negativentwicklungen Vorschub leistet.

Aber man tut (fast) nichts dazu, die jungen Mütter zu motivieren, sich in diesen entscheidenden Jahren ihrem Kind zu widmen. Sicher, der Karenzurlaub ist möglich, aber die von Prof. Theodor Tomandl geforderte „Pflegepension“ wird ebenso abgelehnt wie die Anrechnung der Pflegezeiten für die Pensionsversicherung. Von einer Anerkennung der wirtschaftlichen Wertschöpfung der Hausfrau wollen wir erst gar nicht reden.

Die materiellen Belange sind zweifellos wichtig. Es ist aber zu wenig, nur an Symptomen (mangelhaft) zu kurieren.

Das Umdenken muß tiefer gehen. Das hat gar nichts mit einer Rück-verweisung der Frau in „Kirche, Küche, Kinderzimmer“ zu tun. Das soll die Stellung der Frau in der Wirtschaft nicht negieren, noch ihr ihre „Selbstverwirklichung“ absprechen.

Aber es sollte wieder zum Bewußtsein bringen, daß ein glückliches Kinderlachen vielleicht doch wichtiger ist, als so manches, was heute unter „Selbstverwirklichung“ läuft -wichtiger für die Frau selbst wie für die ganze Gesellschaft.

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